Untitled
und Sirenen. Wir nahmen auf der I-4 die Pannenspur und überholten den gesamten normalen Verkehr vom Flughafen.
In Kombis und Kleinbusse gestopfte Leute schimpften oder jubelten über unser schnelles Vorankommen. Niemand hatte eine Ahnung, wer wir waren oder warum wir Richtung Disney World rasten. Schlicht und einfach VIPs, die Micki und Minni besuchen wollten.
Wir bogen an der Ausfahrt 26-A ab, fuhren dann am World Drive entlang zu den Parkplätzen. Wir kamen kurz nach Viertel nach zwölf dort an. Das war extrem knapp, aber Soneji hatte uns keine Zeit zum Organisieren gelassen.
Warum Disney World? Ich versuchte immer noch, das zu verstehen. Weil Gary Soneji als Kind immer dorthin gewollt und es nie gedurft hatte? Weil er die fast neurotische Effektivität des gut geführten Vergnügungsparks schätzte?
Es war relativ leicht für Gary Soneji, in den Disney Park hineinzukommen. Aber wie wollte er herauskommen? Das war die spannendste Frage überhaupt.
23. Kapitel
Leitende Disney-Angestellte wiesen unsere Autos in der Pluto-Abteilung ein, Reihe 24. Eine Fiberglasbahn wartete dort, um uns zur Fähre zu bringen.
»Warum hat Soneji Ihrer Meinung nach Sie verlangt?« fragte Bill Thompson, als wir aus dem Auto stiegen. »Irgendeine Ahnung?«
»Vielleicht hat er in den Zeitungsartikeln in Washington etwas über mich gelesen«, sagte ich. »Vielleicht weiß er, daß ich Psychologe bin, und das hat ihn auf mich aufmerksam gemacht. Ich werde ihn jedenfalls danach fragen. Falls ich ihn zu sehen kriege.«
»Gehen Sie es bloß locker mit ihm an«, riet mir Thompson. »Wir wollen nur das Mädchen zurück.«
»Mehr will ich auch nicht«, sagte ich. Wir untertrieben beide. Wir wollten, daß Maggie Rose in Sicherheit war, aber wir wollten außerdem Soneji schnappen. Wir wollten ihn auf den elektrischen Stuhl bringen.
Thompson legte mir auf dem Parkplatz den Arm um die Schulter. Das war zur Abwechslung mal eine nette kameradschaftliche Geste. Sampson und auch Jezzie Flanagan wünschten mir Glück. Die FBI-Agenten waren kooperativ, jedenfalls für den Augenblick.
»Wie fühlst du dich?« Sampson zog mich einen Moment lang beiseite. »Kommst du mit dieser Scheiße zurecht? Er hat nach dir verlangt, aber du mußt es nicht machen.«
»Mir geht's bestens. Er wird mir nichts tun. Ich bin an Irre gewöhnt, weißt du noch?«
»Du bist ein Irrer, mein Freund.«
Ich nahm den Koffer mit dem Lösegeld. Ich stieg allein in die leuchtendorange Bahn. Ich hielt mich an einem Metallgriff über mir fest und fuhr auf das verzauberte Königreich zu, wo ich das Lösegeld gegen Maggie Rose Dunne austauschen sollte.
Es war 12.44 Uhr. Ich war sechs Minuten zu früh dran.
Niemand schenkte mir besondere Aufmerksamkeit, als ich mich mit dem stockenden Menschenstrom auf die Kartenschalter und Drehkreuze im Kassenbereich des verzauberten Königreichs zuschob. Warum hätte ich auch auffallen sollen?
Das mußte Sonejis Idee gewesen sein, als er sich für den überfüllten Ort entschied. Ich packte den Koffer fester. Ich hatte das Gefühl, solange ich das Lösegeld hatte, hätte ich auch ein Rettungsseil zu Maggie Rose.
Hatte er es gewagt, das kleine Mädchen mitzubringen? War er selbst hier? Oder war das alles nur eine Bewährungsprobe für uns? Jetzt war alles möglich.
Die Stimmung der Menschenmenge in Disney World war unbeschwert und entspannt. Es waren überwiegend Familienurlauber, die sich unter dem strahlenden, kornblumenblauen Himmel amüsierten. Eine angenehme Ansagerstimme intonierte: »Nehmen Sie kleine Kinder an der Hand, vergessen Sie Ihre Sachen nicht, und genießen Sie Ihren Aufenthalt im verzauberten Königreich.«
Wie ausgepumpt man sein mochte, das Märchenland schlug einen in seinen Bann. Alles war unglaublich ordentlich und sicher. Man kam sich wider Willen rundum beschützt vor, was mir so gottverflucht unheimlich war.
Mickey Mouse, Goofy und Schneewittchen begrüßten alle am Eingangstor. Der Park war makellos sauber. Aus Lautsprechern, die geschickt irgendwo in den gestutzten Büschen versteckt waren, spielte es »Yankee Doodle Dandy«.
Ich verspürte, wie mein Herz unter einem engen Sporthemd pochte. Im Augenblick hatte ich keinerlei Kontakt zu meinen Hilfstruppen. So würde es bleiben, bis ich das verzauberte Königreich betreten hatte.
Meine Handflächen waren feucht, und ich wischte sie an der Hose ab. Mickey Mouse schüttelte direkt vor mir Hände. Das war Wahnsinn. Ich war eben in einen Bereich getreten,
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