Untitled
hellbraune Hosen, ein T-Shirt mit VAusschnitt, schwarze chinesische Pantoffeln. Das blonde Haar war noch naß. Sie hatte es zurückgekämmt, und es sah gut so aus. Sie trug kein Make-up und hatte es auch nicht nötig. Sie wirkte ganz anders, als sie sich im Dienst verhielt – viel lockerer und unbefangener.
»Ehrlich und aufrichtig, eins muß ich Ihnen sagen.« Sie lachte.
»Und zwar was?«
»Sie sind ein kräftiger, aber wirklich nicht gerade eleganter Schwimmer. Andererseits sehen Sie in der Badehose gut aus.«
Wir lachten beide. Etwas von der Anspannung des langen Tages legte sich.
Wir horchten uns bei Bier und einem Imbiß geschickt gegenseitig aus. Zum großen Teil lag das an den besonderen Umständen, dem Streß und Druck der letzten Tage. Außerdem gehört es zu meinem Beruf, Leute auszuhorchen, und ich mag die Herausforderung.
Ich brachte Jezzie Flanagan zu dem Geständnis, sie sei mit achtzehn mal Miß Washington, D.C. gewesen. Sie hatte einer Studentinnenvereinigung an der University of Virginia angehört, war aber wegen »unschicklichen Verhaltens« – eine Formulierung, die ich genoß – ausgeschlossen worden.
Während wir uns unterhielten, überraschte es mich, ihr viel mehr zu erzählen, als ich vorhatte. Sie war eine gute Zuhörerin.
Jezzie fragte mich nach meinen Anfängen als Psychologe in Washington. »Im großen und ganzen war das ein schlimmer Fehler«, sagte ich, ohne zu erwähnen, wie wütend mich das gemacht hatte, immer noch machte. »Viele Leute wollten keinen schwarzen Psychologen. Zu viele Schwarze konnten sich keinen leisten. Auf der Couch des Psychologen gibt es keine Liberalen.« Sie brachte mich dazu, über Maria zu sprechen, aber nur ganz kurz. Sie erzählte mir, wie es war, im zu 90 Prozent machoähnlichen Secret Service eine Frau zu sein. »Sie stellen mich gern auf die Probe, oh, mindestens einmal pro Tag. Sie nennen mich den Mann.« Sie wußte auch unterhaltsame Geschichten aus dem Weißen Haus. Sie kannte die Bushs und die Reagans. Alles in allem war es eine angenehme Stunde, die zu schnell verging.
Genau gesagt, es war mehr als eine Stunde verstrichen. Es waren eher zwei Stunden. Jezzie fiel schließlich auf, daß unsere Kellnerin ganz allein an der Bar wartete. »Schluß. Wir sind die letzten Gäste.«
Wir zahlten und stiegen in den Aufzug des sich drehenden Dachrestaurants. Jezzies Zimmer lag ein paar Etagen höher als meines. Vermutlich hatte sie auch Meerblick. Von ihrer Suite aus.
»Das war richtig nett«, sagte ich auf ihrer Etage. Ich glaube, daß ist ein ironischer Satz aus einem Stück von Noël Coward. »Danke für die Gesellschaft. Fröhliche Weihnachten.«
»Fröhliche Weihnachten, Alex.« Jezzie lächelte. Sie schob sich das blonde Haar hinter das Ohr, ein Tick, der mir schon vorher aufgefallen war. »Es war wirklich nett. Leider wird's morgen wohl weniger nett werden.«
Jezzie gab mir ein Küßchen auf die Wange und ging zu ihrem Zimmer. »Ich werde von Ihnen in einer Badehose träumen«, sagte sie, als die Aufzugstür zuging.
Ich fuhr vier Stockwerke tiefer, wo ich meine kalte Weihnachtsdusche nahm, allein in meinem Weihnachtshotelzimmer. Ich dachte an Jezzie Flanagan. Blöde Phantasien in einem einsamen Hotelzimmer in Miami Beach. Zwischen uns würde sich bestimmt nichts tun, aber ich mochte sie. Ich hatte das Gefühl, mit ihr über alles reden zu können. Ich las noch etwas über Styrons Depressionsschub, bis ich schlafen konnte. Ich hatte ein paar eigene Träume.
21. Kapitel
Vorsicht, Gary, mein Junge, sei jetzt bloß vorsichtig.
Gary Soneji beobachtete die fette Frau aus dem äußersten Winkel des linken Auges. Er beobachtete den Fettkloß, wie eine Eidechse ein Insekt beobachtet – kurz vor dem Verspeisen. Die Frau hatte keine Ahnung, daß er sie musterte.
Sie war sozusagen eine Polizistin und außerdem Gebühreneinnehmerin an der Mautschranke der Autobahnzufahrt. Sie zählte langsam sein Wechselgeld ab. Sie war riesig, schwarz wie die Nacht und völlig weggetreten. Im Halbschlaf an der Schranke sah sie Sonejis Meinung nach so aus, wie Aretha Franklin ausgesehen hätte, wenn Aretha keinen Ton hätte singen können und in der realen Alltagswelt hätte zurechtkommen müssen. Sie hatte überhaupt keine Ahnung, wer im monotonen Strom des Feiertagsverkehrs an ihr vorbeifuhr. Obwohl sie und ihresgleichen angeblich alle verzweifelt nach ihm suchten. Soviel zur »großangelegten Suchaktion« und der »bundesweiten Verfolgungsjagd«.
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