Untitled
pantomimisch vermitteln, erst mit gebeugtem, dann mit gestrecktem Arm, bis sie den Radschlüssel aus dem Gürtel zog, in die Hocke ging und ihm bedeutete, es ihr nachzutun. Sie nahm die Arme vor die Brust und verschränkte sie, und auch das machte er nach. Dann warf sie ihm den Radschlüssel die anderthalb Meter übers Fenster hin zu, und er fing ihn mit einer Hand, ganz und gar nicht so, wie sie es sich gedacht hatte. Mit einer Reihe von Gesten versuchte er ihr noch anderes zu sagen. Er tippte sich an die Brust, zeigte in Zoyas Richtung und hielt zu Aggies Beruhigung einen Daumen in die Luft: Wir sind alte Freunde. Er machte bremsende Bewegungen mit den Handflächen: Immer mit der Ruhe. Er zeigte wieder auf sich: Diesmal bin ich dran, nicht du; ich gehe da rein, nicht du. Er tippte sich zaghaft an die Schläfe, um anzudeuten, daß Zoya geistig etwas verwirrt sein könnte, runzelte dann zweifelnd die Stirn, neigte den Kopf nach rechts und links, um seine primitive Diagnose in Zweifel zu ziehen: Ich war ihr Geliebter, ich bin für sie verantwortlich. Wie weit Aggie all dem folgen konnte, wußte er nicht, aber anscheinend ziemlich weit, wie er aus ihrer Fügsamkeit schloß; denn nachdem sie ihm aufmerksam zugesehen hatte, küßte sie ihre Fingerspitzen und blies den Kuß in seine Richtung.
Oliver rappelte sich hoch, er war sich bewußt, wenn er allein hier wäre, hätte er Angst und würde wahrscheinlich nicht weiterwissen, aber dank Aggie sah er alles deutlich vor sich und wußte genau, was er zu tun hatte. Er wußte, die Fenster waren aus Panzerglas, denn Michail hatte ihm vorgeführt, wie schwer sie waren, und ihm gutgelaunt die verstärkten Angeln, die dafür nötig waren, und die Spezialschlösser gezeigt. Mit dem behelfsmäßigen Brecheisen würde er es deshalb nicht zuerst, sondern eher zuletzt versuchen. Nicht von der Hand zu weisen war, daß Aggie ihm, als sie ihm das Stemmeisen überließ, auch das weitere Vorgehen überließ, und genau das hatte er gewollt. Die Vorstellung, daß er Aggie statt seiner in den Kampf schickte, oder daß sie, durchsiebt von einer Salve aus der Kalaschnikoff, zu einer weiteren Leiche auf seinem blutigen Weg werden könnte, war ihm unerträglich. Panzerglas war eine Sache. Etwas ganz anderes war ein Feuerstoß aus einer Hochgeschwindigkeitsmaschinenpistole aus zwei Metern Entfernung.
Also schob er sich, so wie Aggie vorher, den Radschlüssel in den Hosenbund und rückte mit steifen seitlichen Bewegungen bis zur Mitte des Fensters vor und dann noch etwas weiter, so daß Zoya sein Gesicht nicht in zwei Hälften geteilt, sondem in einer der Scheiben ganz sehen konnte. Er klopfte an das Panzerglas, erst sachte, dann energisch. Als sie den Kopf hob und ihre Augen auf ihn einzustellen schien, setzte er so etwas wie ein gewinnendes Lächeln auf und rief: »Zoya. Ich bin´s, Oliver. Laß mich rein.« Laut genug, hoffte er, um durch das Glas gehört zu werden.
Ihre Augen wurden noch größer, bis sie fast aus den Höhlen zu fallen schienen, dann begann sie sich plötzlich zu regen und fingerte an der Waffe auf ihrem Schoß herum, um sie schließlich auf ihn zu richten. Er schlug die Handflächen ans Fenster und hielt sein Gesicht so nah daran wie möglich, ohne komisch auszusehen.
»Zoya! Laß mich rein! Ich bin´s, Oliver, dein Geliebter!« rief er und war sich in diesem Augenblick, das muß gesagt sein, überhaupt nicht mehr bewußt, daß auch Aggie da war, aber er hätte es auf jeden Fall gesagt. Und offenbar war es Aggie sehr recht, daß er es gesagt hatte, denn aus den Augenwinkeln sah er sie nachdrücklich und wie bestätigend nicken. Aber Zoya reagierte wie ein Tier, das ein halbvergessenes Geräusch vernimmt: Das kenne ich - fast - aber ist es ein Freund oder ein zu wenig gegessen -, aber sie hielt immer noch die Waffe. Und nachdem sie Oliver eine Zeitlang angestarrt hatte, sah sie sich finster im Zimmer um, vielleicht weil sie argwöhnte, jemand könnte sich von hinten auf sie stürzen, während sie von dem abgelenkt wurde, was sich vor ihr abspielte. »Kannst du mir bitte aufmachen, Zoya? Ich muß ins Haus. Ist der Schlüssel im Schloß? Wenn nicht, können wir nach vorne gehen, und du läßt uns durch die Haustür rein. Ich bin es nur, Zoya. Ich und eine Frau. Sie wird dir gefallen. Sonst niemand, ehrlich. Kannst du vielleicht versuchen, den Schlüssel umzudrehen? So ein kleines Messingrädchen, wenn ich mich recht erinnere. Man muß es drei- oder viermal drehen.«
Aber Zoya
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