Untot - Lauf, solange du noch kannst (German Edition)
ihn in ein Krankenhaus bringen!«
»Er ist krank?«, fragt Grace. »Ich bin in Kinderheilkunde ausgebildet, Lily. Ich kann ihm helfen. Macht auf, gebt uns den Schlüssel zum Turm und ich sorge dafür, dass es ihm besser geht.« Grace kann nicht verhindern, dass ihr die Stimme zittert. Sie ist keine sonderlich gute Schauspielerin. Da war ich auf der Grundschule im Krippenspiel als Schaf überzeugender.
»Leider haben wir den Schlüssel nicht«, sagt Pete. »Wenn, dann würden wir ihn euch geben.«
»Wir haben den Schlüssel.« Lily greift in die Hosentasche und hält ihn hoch. »Sie wissen, dass wir ihn haben.«
»Du hast ihn die ganze Zeit gehabt?«, brüllt Alice. Sie dreht sich zu mir um, als ob das alles meine Schuld ist. »Du wusstest davon?«
»Tu, was richtig ist, Lily«, drängt Grace hinter der Tür.
»Okey-dokey.« Smitty schlendert zur Tür rüber. »Dann machen wir das jetzt, ja, Grace? Erst gibst du Cam was gegen seine Kotzeritis und dann werden wir alle Helden und kriegen einen Haufen Geld.«
Am Fenster schreit jemand. Lily. Zuerst denke ich, sie ist unter dem Druck ausgeflippt, aber dann sehe ich, dass eine Hand durch den Fensterspalt greift und sie an den Haaren festhält und zieht. Ein Zombie? Nein, Shaq. Hinter dem Glas sind das obere Ende einer Leiter und sein dunkler Schopf zu sehen. Dann, praktisch in derselben Sekunde, kracht es hinter der Tür zur Stiefelkammer und jemand brüllt. Michael ist durch die Hintertür hereingekommen.
Das klassische Ablenkungsmanöver. Grace hat uns in ein Gespräch verwickelt; die Männer haben sich angeschlichen. Wir hätten es besser wissen müssen.
Chaos bricht aus. Cam schreit; Alice auch. Ich schnappe mir Lilys Arm und versuche sie von Shaq wegzuziehen. Smitty wirft sich gegen die Tür, hinter der Michael ist. Grace redet weiter, ruhig und überzeugend, träufelt Gift in Petes Ohren. Ich kann den Hund irgendwo bellen hören, dann das Bersten einer Tür. Die Tür zur Stiefelkammer hängt immer noch im Rahmen – mehr oder weniger –, aber ich kann Michael durch den Spalt sehen; sein Gesicht ist so blau wie eine Steckrübe und wutverzerrt, und Smitty versucht die Holzteile zusammenzuhalten. Während ich versuche Lily aus Shaqs Griff zu befreien, fliegt etwas Silbriges durch die Luft und landet klirrend auf dem Boden.
Bevor ich reagieren kann, schnappt sich Alice den Schlüssel. Sie rennt zur Turmtür und rammt ihn ins Schloss. Smitty, Pete und ich brüllen im Chor: »Neeeeiiiiin!« Ich lasse Lily los und stürze auf Alice zu, versuche sie noch zu erwischen. Sie dreht den Schlüssel und öffnet die Tür. Und dann ist sie im Turm verschwunden, mit Pete auf den Fersen.
Vielleicht haben sie Recht. Vielleicht ist das unsere einzige Chance? Während ich noch überlege, gibt die Kammertür nach und Michael kommt den Kopf voran in die Küche geschossen und prallt gegen Smitty, der sich auf dem Boden abrollt und zu meinen Füßen landet. Michael kracht ungebremst in den Küchentisch, knallt mit dem Kopf gegen eine Ecke der Tischplatte. Er geht benommen zu Boden und rührt sich kaum mehr.
Lily kauert sich neben Cam. Eine Sekunde später ist Shaq da und lässt Grace herein. Sie steht da, den Viehtreiber in der Hand. Sie sieht die offene Tür zum Turm und ihre Augen blitzen.
Smitty kommt wieder hoch und zieht mich sanft mit in den Turm. Er legt seine Hand an die Tür.
»Gut«, sagt Grace. »Ihr habt die Tür aufgemacht. Wir tun euch nichts.«
Smitty geht gar nicht darauf ein. »Lily, steh auf. Nimm Cam und komm her.« Er lässt die Tür nicht los, kann sie jederzeit zuziehen.
Auf dem Boden beim Tisch stöhnt Michael.
»Schnell, Lily.« Smitty zieht die Tür weiter zu, verkleinert den Spalt.
Lily beugt sich über Cam, der still daliegt, zusammengekrümmt, das Gesicht in den kleinen Händen verborgen. »Er ist tot.«
Alle schauen zu Cam.
»Er ist nicht tot«, sagt Smitty. »Er ist krank. Heb ihn auf und komm her.«
Alle halten den Atem an. Cam fängt an sich zu rühren. Auf dem Bauch liegend tritt er mit seinen kurzen Beinen, versucht Halt auf dem Boden zu finden. Lily weint vor Erleichterung.
»Siehst du? Es geht ihm gut«, sagt Smitty. »Trag ihn.«
Ein dunkler Schatten kommt aus der Stiefelkammer gesprungen. Der Hund – er bellt und knurrt und fletscht die Zähne, dass die feuchten rosa Lefzen zu sehen sind. Er stürzt auf Cam los und Lily fällt erschrocken nach hinten. Plötzlich bleibt der Hund stehen. Er ist jetzt noch aufgeregter, knallt
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