Untot mit Biss
ließ ihn wie einen harten Motorradtypen aussehen. Sein Gesicht blieb ihm Schatten, sodass ich den Ausdruck darin nicht sehen konnte, doch wahrscheinlich hätte es mir ohnehin nichts gezeigt. Zumindest nichts, was ich wissen wollte.
Ich musste gegen die Versuchung ankämpfen, zu ihm zu gehen. Fast verzweifelt wünschte ich mir zu sehen, wie es in seinen Augen für mich aufleuchtete wie sonst für niemanden, und ihn sagen zu hören, dass alles in Ordnung kommen würde. Ich wusste, was er war und dass er mich belogen hatte, aber ein Teil von mir wollte ihm noch immer vertrauen. Hoffentlich war es nur eine Nachwirkung der geistigen Invasion, die bald verschwand. Meine Augen mussten sich an die Tatsache gewöhnen, dass er wie mein Tomas aussah, es aber nicht war. Der Mann, der mir so vertraut gewesen war, hatte nur in meiner Einbildung existiert.
Ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit wieder auf das Hauptereignis, was eigentlich gar nicht so schwer sein sollte. Eine dicke Mahagoniplatte bildete einen massiven rechteckigen Tisch, der zusammen mit den Stühlen auf der anderen Seite die einzige Einrichtung darstellte. Das Ding schien mindestens eine Tonne zu wiegen und ruhte auf einem ebenso massiv wirkenden Marmorpodest, zu dem einige glänzende Stufen emporführten. Dadurch befand sich der Senat etwa einen Meter über der Stelle, wo demütige Bittsteller – oder Gefangene, wie in meinem Fall – stehen durften. Die Wände des Raums – beziehungsweise der Höhle, denn er befand sich ein ganzes Stück tief im Boden, wie ich später herausfand – bestanden aus rotem Sandstein, und das Licht der großen schwarzen Kronleuchter gab ihnen ein Flammenmuster. Der Spiegel ragte links vom Tisch auf und schien nicht zum Rest zu passen, was aber vermutlich daran lag, dass er Tonys Gesicht zeigte. Abgesehen davon bestand die einzige andere Ausschmückung des Raums aus den bunten Fahnen und Wappenschilden der Senatsmitglieder hinter ihren Sitzen. Vier Schilde waren von schwarzen Tüchern verdeckt, und die schweren Brokatstühle waren zur Wand gedreht. Das sah nicht gut aus.
»Ich verlange Schadenersatz!« Meine Aufmerksamkeit kehrte zu Tony zurück, der seine Forderung zum mindestens fünften Mal wiederholte. Er gehörte zu den »Man wiederhole den eigenen Standpunkt, bis die anderen nachgeben«-Debattierern, hauptsächlich deshalb, weil es ihm an Erfahrung mangelte. In seiner Familie katzbuckelten nur alle, und daran gewöhnte man sich im Lauf der Jahrhunderte. »Ich habe sie aufgenommen, großgezogen und wie eine von uns behandelt, und sie hat mich hintergangen! Ich habe jedes Recht, ihr Herz zu verlangen!«
Ich hätte darauf hinweisen können, dass ich nicht zu den Vampiren zählte und ein Pflock daher des Guten zu viel war, aber ich konzentrierte mich lieber auf wichtigere Dinge. Ich glaubte nicht etwa, dass sich der Senat groß für Tonys Geschäfte interessierte, aber dies bot mir Gelegenheit, es dem verdammten Mistkerl heimzuzahlen, und eine solche Chance wollte ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. »Du hast meine Eltern ermorden lassen, um mein Talent ganz für dich allein zu haben. Du hast mir gesagt, du würdest andere warnen und so helfen, die Katastrophen zu verhindern, die ich in meinen Visionen sah, aber in Wirklichkeit hast du die ganze Zeit über von ihnen profitiert. Du bist zornig, weil ich dich Geld gekostet habe? Wenn ich dir jemals nahe genug kommen sollte, hacke ich dir den Kopf ab.« Ich sagte es ganz ruhig, denn Tony zu töten war ein alter Traum, und es erschien mir sehr unwahrscheinlich, ihn jemals verwirklichen zu können.
Meine Worte blieben ohne Wirkung auf Tony, und das entsprach meinen Erwartungen. Man hatte ihm jahrhundertelang gedroht, aber er war noch immer da. Er hatte mir einmal gesagt, sein Überleben wäre die deutlichste aller Antworten an Kritiker und Gegner, und damit hatte er vermutlich recht. »Sie hat keinen Beweis dafür, dass ich irgendetwas mit diesem unglückseligen Zwischenfall zu tun habe. Muss ich mich hier von ihr beleidigen lassen?«
»Ich habe es
gesehen
«
Ich wandte mich an das Oberhaupt des Senats, offiziell Konsul genannt, um meinen Fall darzulegen, aber sie spielte mit einer Kobra, die lang genug war, sich zweimal um ihren Körper zu wickeln, was mich ablenkte. Die Schlange sah zahm aus, aber ich behielt sie trotzdem im Auge. Die Vamps vergaßen manchmal: Was für sie nur ärgerlich war, wie der Biss einer giftigen Schlange, konnte für die Sterblichen, die mit
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