Untot mit Biss
lächelte. Red nur weiter, Tony. Leider trat nach nur einer Minute einer der beiden hünenhaften, in Leopardenfell-Lendenschürze gekleideten Vampire neben dem Stuhl der Konsulin vor und entfernte den Spiegel. Schade – die Sache hatte begonnen, mir zu gefallen. Rafes Hand drückte kurz zu und wies mich daraufhin, dass es besser war, einen neutralen Gesichtsausdruck zu zeigen. So wie es keine gute Idee war, vor Gericht Furcht oder Schwäche zu zeigen – und ich stand hier praktisch vor dem Gericht der Gerichte –, sollte man auch nicht zu viel lächeln. Jemand könnte es als Herausforderung verstehen, und das wäre ziemlich übel gewesen. Rasch setzte ich wieder die Pokermiene auf, die ich schon als Kind zu tragen gelernt hatte. Es fiel mir nicht sonderlich schwer. Das bisschen Freude, das ich empfunden hatte, war ohnehin verschwunden, als ich mich wieder dem Senat zuwandte. Tony hatte die übrigen Anwesenden abgelenkt, und ohne ihn richteten sie ihre volle Aufmerksamkeit auf mich, was selbst für jemanden verunsichernd gewesen wäre, der nicht regelmäßig an Versammlungen der Familie teilgenommen hatte. Nach der Verwandlung seiner Telepathin, die sie alle besonderen Fähigkeiten gekostet hatte, hatte Tony darauf bestanden, dass ich bei solchen Treffen zugegen war, insbesondere wenn rivalisierende Familien Repräsentanten schickten. Ich wusste nicht, warum. Ich konnte keine Gedanken lesen, und die Wahrscheinlichkeit dafür, etwas bei den anwesenden Personen zu
sehen,
war sehr gering. Mindestens hundertmal hatte ich Tony gesagt, dass ich meine Gabe nicht einfach wie einen Fernseher einschalten konnte, und wenn sie aktiv wurde, war es mir nicht möglich, den Kanal zu wählen. Er hatte nicht darauf geachtet, vielleicht deshalb, weil er das Prestige mochte, seine persönliche Hellseherin wie ein abgerichtetes Hündchen an der Seite zu haben. Wie dem auch sei, nach den vielen sehr schrecklichen Leuten, die ich gesehen hatte, war ich davon überzeugt gewesen, dass mich nichts mehr beeindrucken konnte. Was sich jetzt als Irrtum erwies.
Es gab noch zwölf weitere Plätze am Tisch, abgesehen von dem der Konsulin. Mehr als die Hälfte waren unbesetzt, doch dafür erwiesen sich die anderen als umso interessanter. Mir am nächsten saß eine dunkelhaarige Frau, die ein langes Samtgewand trug. Ein Häubchen ruhte auf ihrem Kopf, und daran hingen Perlen so groß wie mein Daumen. Goldene Stickarbeiten schmückten das burgunderrote Gewand. Ihre Haut zeigte eine Blässe, die auf Jahrhunderte ohne Kontakt mit Sonnenschein hinwies, und sie war makellos, bis auf eine Narbe am Hals, halb verborgen unter einem Seidenband. Jemand war dieser Schönheit nahe genug gekommen, um ihr den Kopf abzuschlagen, und offenbar hatte er nicht gewusst, dass sich allein damit ein Vampir nicht töten ließ. Wenn das Herz intakt war, heilte der Körper. In diesem Fall allerdings musste die Heilung einer solchen Wunde enorm viel Kraft gekostet haben. Neben der Frau saß die einzige Person am Tisch, die ich erkannte. Kein Wunder, denn Tony prahlte bei jeder Gelegenheit über seine Verbindung mit der berühmten Dracula-Linie und hatte Porträts aller drei Brüder an der Wand seines Thronsaals. Er war nicht durch Vlad III. Tepes, den legendären Dracula, zum Vampir geworden, sondern durch den älteren Bruder jenes großen Mannes, Mircea. Wir hatten ihn in Philly zu Gast gehabt, als ich elf gewesen war. Wie viele Kinder fand ich Gefallen an Geschichten, zum Glück für mich, denn Mircea liebte nichts mehr, als sich über die schlechte alte Zeit auszulassen. Er erzählte mir, dass er einer rachsüchtigen Zigeunerin begegnete, als sich seine jüngeren Brüder Vlad und Radu als Geiseln in Adrianopel befanden. Sie hasste seinen Vater, der ihre Schwester – Draculas Mutter – verführt und dann nicht mehr beachtet hatte, und so verfluchte sie Mircea mit Vampirismus. Vermutlich wollte sie damit die Familienlinie beenden, da Vampire keine Kinder zeugen konnten und alle davon ausgingen, dass die Geiseln nicht zurückkehrten. Aber Mircea wies daraufhin, dass ihm die Zigeunerin eigentlich einen Gefallen getan hatte. Kurze Zeit später wurde er von ungarischen Meuchelmördern, die mit ortsansässigen Adligen gemeinsame Sache machten, gefangen genommen, gefoltert und lebendig begraben, was ihm sicher einen echten Dämpfer versetzt hätte, wenn er nicht bereits tot gewesen wäre. Unter solchen Umständen war so etwas nur eine Unannehmlichkeit. Ich war bei der Begegnung
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