Untot mit Biss
dem anderen die Knarre ab. Allmählich hatte ich das wirklich satt, aber ob bewaffnet oder nicht, aufgeben war nicht drin. So nahe kam ich Jimmy vielleicht nie wieder, und ich wollte mir diese gute Gelegenheit nicht nehmen lassen. »Billy Joe – worauf wartest du, zum Teufel? Na los!«
Die schwebende Wolke verdichtete sich und fiel wie ein Stein auf Jimmy. Tomas versuchte, mich fortzuziehen, aber ich widersetzte mich. Er wollte mich nicht verletzen, nahm Rücksicht und verlor dadurch ein wenig Zeit. Eine Sekunde verging, mehr nicht, und dann raste Billy Joe wie von einer Kanone abgefeuert aus Jimmy heraus, sauste auf mich zu und verschwand in mir. Ich versuchte gar nicht, ihn aus mir herauszuhalten – vielleicht brauchte er zusätzliche Kraft, um richtig von Jimmy Besitz zu ergreifen. Doch ich spürte, wie sich etwas in mir ausdehnte, bis ich zu ersticken glaubte. Es war, als gäbe es mehr von Billy Joe als sonst und als reichte der Platz in mir nicht für uns beide aus.
Mir blieb keine Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen oder zu reagieren. Plötzlich kam es in meinem Innern zu einer gewaltigen Explosion – es fühlte sich nach einem Flugzeug an, das von einem Augenblick zum anderen den Kabinendruck verlor. Etwas zerriss, und ich dachte an mein T-Shirt, beziehungsweise seine Reste. Instinktiv griff ich danach, weil ich den ruinierten BH zurückgelassen hatte, doch meine Hand berührte nicht etwa vertraute Kurven unter Elasthan. Stattdessen strichen meine Finger über abgetragenen Denim. Ich schaute nach unten und sah die Oberseite meines Kopfes. Selbst ein verwirrtes Blinzeln änderte nichts an dem Anblick ich sah mich selbst. Die Desorientierung war enorm, und mir blieb keine Zeit, damit fertig zu werden, denn plötzlich griff Jimmy an, und auf einmal ging es drunter und drüber. Er sprang heran und schnappte mit seinen messerartigen Zähnen nach meinem Arm. Ich schrie und ließ den Körper fallen, den ich trug. Mir blieb Zeit genug, zwei große blaue Augen zu sehen, die verblüfft zu mir aufsahen, und dann schüttelte Jimmy den Kopf und versuchte, mir den Arm abzureißen. Ich handelte ohne einen bewussten Gedanken, wich fort von dem stechenden Schmerz und beobachtete überrascht, wie Jimmy an mir vorbeiflog und gegen einen nahen Wagen prallte. Es war ganz leicht gewesen, ihn zu werfen – er schien nicht mehr zu wiegen als eine Puppe.
Ich sah mich um und gewann den Eindruck, als bewegten sich alle wie in Zeitlupe. Pritkin schoss ein basketballgroßes Loch in den Wagen, vor dem Jimmy vor meinem Wurf gestanden hatte. Ich sah das Feuer, das aus der Flinte kam, beobachtete dann, wie die Windschutzscheibe zersprang. Die Glassplitter sanken so langsam zu Boden wie welkes Laub, das von einem Baum fiel. Ebenso langsam wandte sich Pritkin den pelzigen Körpern zu, die nicht etwa wild heranstürmten, sondern gemessenen Schrittes näher kamen.
Die einzige andere Person, die sich mit normaler Geschwindigkeit bewegte, war Louis-Cesar, der sein Rapier ins Herz eines Rattenwesens bohrte, es wieder herauszog und sich das nächste Geschöpf vornahm. »Hast du nicht gehört? Bring sie weg!« Er sah mich an, und ich blinzelte verwirrt und fragte mich, was er meinte. Er holte ein kurzes Wurfmesser hervor und schickte es in den Hals einer Ratte, die es irgendwie geschafft hatte, sich dem vor mir liegenden Körper zu nähern. Die Klinge bohrte sich in den Nacken, und das Geschöpf quiekte und griff mit ausgefahrenen Krallen danach, zerfleischte sich dadurch selbst. Es rollte von der Person fort, die es hatte angreifen wollen, und ich starrte auf mich selbst hinab.
Schließlich bemerkte ich, dass der blutige Arm, in den Jimmy gebissen hatte, mein eigener war. Ich fühlte den Schmerz und sah das Blut, doch das Fleisch darunter zeigte einen hellen, honigfarbenen Ton. Die Hand hatte lange Finger, der Arm war muskulös und die Brust so flach wie die eines Mannes. Ich brauchte einige Momente, um zu begreifen, dass es sich tatsächlich um die Brust eines Mannes handelte und dass er Tomas’ Seidenhemd mit Spinnwebenmuster und seine Denimjacke trug. Ich schwankte und lehnte mich an einen nahen Volkswagen, und der Körper vor mir setzte sich auf.
»Wo bist du, Cassie?« Arger leuchtete in meinen blauen Augen, und auch so etwas wie Furcht. Ich wusste es nicht genau, denn ich war nicht daran gewöhnt, meinen eigenen Gesichtsausdruck zu deuten. »Antworte mir, verdammt!«
Ich kniete neben dem, was mein Körper gewesen war, und sah in
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