Untot | Sie sind zurück und hungrig
schnaubend ein ausdrucksvolles Mienenspiel zum Besten, das klarstellt: ›Hab ich gar nicht!‹ und ›Er ist überhaupt nicht mein Freund!‹ Aber schon interessant, dass ich es nicht laut sage. Teilweise, weil ich keine Lust auf eine Diskussion à la Alice habe, und teilweise, weil sie ja vielleicht schon ein ganz klein bisschen Recht hat. Mit beiden Sachen.
»Vielleicht weiß deine Mum weiter.« Sie nickt zur Tür, als würde meine Mutter längst dahinter bereitstehen. »Dass sie uns hilft, hier rauszukommen. Das hat sie doch schon mal richtig gut hingekriegt.«
»Ja.« Ich gehe mit dem Gesicht ganz nah an die Scheibe heran und versuche in die Fenster auf der anderen Seite des Innenhofes zu schauen. »Bloß dass die mir erzählt haben, sie wäre tot.«
Alice schnappt nach Luft. »Ist das wahr?«
»Ja.« Ich blicke zu ihr nach hinten.
Sie hat eine Hand vor den Mund geschlagen und blinzelt mehrmals. Dann lässt sie die Hand langsam sinken. »Das ist ja schrecklich.« In ihren Augen schimmern Tränen. »Wie sollen wir denn jetzt bloß hier rauskommen?«
Ach, wie reizend von dir, Alice. Dich interessiert wieder mal bloß, was es für Auswirkungen auf dich hat, hm?
»Da kommt mir eine Idee.« Ich hebe den Fuß und ziehe mein Handy aus dem Stiefel.
»O mein Gott!«, ruft Alice. »Hast du schon versucht, Hilfe zu holen?«
»Bis jetzt nicht.« Ich schalte es ein und bete im Stillen. Es braucht ewig, um hochzufahren. Alice dauert das zu lange und sie drängt sich gegen mich, um auf das kleine Display gucken zu können. Sie wirft stöhnend den Kopf zurück.
»Sag’s nicht. Kein Empfang. Riesenüberraschung. Wir haben doch nie welchen. Das ist einfach gähn .«
Ich gehe zum Fenster, aber immer noch nichts. »Dann müssen wir eben irgendwohin, wo wir ein Signal kriegen.«
»Falls es überhaupt irgendwo eins gibt!«
Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sie damit Recht haben könnte. Ich checke meine Textnachrichten. Keine neuen. Nur ein paar alte von Mum. Ihr Anblick macht mich irgendwie ein bisschen kirre. Ich will das Handy gerade wieder ausmachen, da sehe ich ganz in der Ecke ein Icon, das ich gar nicht kenne.
Ist das vorher auch schon da gewesen?
Es ist ein kleines Buchsymbol. Ich glaube, das heißt, dass ich Telefonnummern gespeichert habe oder so was. Was stört mich daran?
»Was ist?«, fragt Alice.
»Nichts.«
»Von wegen. Du hast schon wieder diesen irren Blick. Was ist das Problem?«
Ich schüttele den Kopf und weiß genau, wie blöd das gleich klingen wird. »Ich bin die Neue und hab noch keine Freunde, stimmt’s? Aber das Handy will mir weismachen, dass ich Nummern gespeichert habe.«
»Zeig her.« Alice krallt sich das Handy und navigiert im Nu durch das Menü. »Ich freue mich, dir mitteilen zu können, dass du jetzt Freunde hast.«
Ich nehme das Handy. Das Display zeigt eine Liste an:
Marigold
Mum
Poffit
Smitty
Mit zitternden Fingern scrolle ich die Liste herunter – zweimal, um sicherzugehen. Dann klicke ich auf ›Mum‹ und eine Nummer erscheint.
Eine Woge der Erleichterung durchläuft mich.
Jetzt weiß ich ohne den Hauch eines Zweifels, dass Mum noch lebt.
Und sie versucht mir irgendwas zu sagen.
Nach dem Unfall hat jemand diese Namen und Nummern eingespeichert. Ich eindeutig nicht. Ich gehe wieder ans Fußende des Bettes und setze mich auf den kalten Boden.
»Mum hat diese Nummern eingegeben.«
Alice zieht verwirrt eine Schnute. »Hast du nicht eben gesagt, sie wäre tot?«
»Ich glaube, Martha hat mich angelogen.«
Ich überprüfe die Liste. Mum, ja; Smitty, einverstanden. Aber die anderen beiden? Marigold ist nicht unbedingt bekannt dafür, dass man tolle Gespräche mit ihr führen kann. Sie ist die mies gelaunte Katze meiner Oma und hasst mich so sehr, dass sie mal bei meinem Urlaub dort einen unappetitlichen Protest in meinem Bett hinterlassen hat. Und was Poffit angeht … Na, das macht die Sache klar. Auf die allerpeinlichste Weise. Poffit ist der Name des Kuscheltuchs, das ich früher mal linusmäßig mit mir herumgeschleppt habe, bis Mum mich zur Einschulung auf kalten Entzug gesetzt hat. Ich muss zugeben, dass ich es später wieder ausgegraben habe, mit neun, als wir in die Staaten gezogen sind. Das war am Anfang die einzige Möglichkeit, dass ich einschlafen konnte.
Wenn es also nicht irgendjemand geschafft hat, meine Erinnerungen anzuzapfen – und das ist ziemlich weit hergeholt, selbst wenn man die gegenwärtigen Umstände bedenkt –, dann kann nur Mum
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