Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
mit Jack, den er sich wie einen Sack Korn über die Schulter geworfen hatte, wieder aus der Bibliothek.
»Harper und ich werden uns um ihn kümmern«, flüsterte Finney. Dann beugte er sich noch ein Stück weiter zu Olivia vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Obwohl ich ihn, um ehrlich zu sein, lieber aus dem Fenster werfen würde. Wie der Sergeant schon gesagt hat: Der Mann ist ein Dummkopf, dass er die Lügen über Sie geglaubt hat.«
Olivia blickte zu dem ehemaligen Preisboxer auf und spürte, wie ihre mühsam aufrechterhaltene Beherrschung ins Wanken geriet. »Danke, Finney«, sagte sie mit rauer Stimme. »Und danke auch an Harper.«
»Wir haben zu danken. Und jetzt los. Wir kümmern uns um ihn.«
Olivia hatte bisher noch nicht viel Zeit im Garten verbracht, doch als sie aus der Bibliothek ins Grüne trat, wurde ihr klar, dass es der perfekte Ort war. Der Garten war hübsch und nicht so groß, um sich darin zu verlaufen. Ruhig, üppig und grün, als hätte jemand einen Bauerngarten in einen Wäscheschrank gelegt. Und dank Lady Kate gab es Wege, die sich zwischen den Beeten mit Fingerhut, Margeriten und Rittersporn schlängelten.
Olivia bemühte sich, ihren Empfindungen davonzulaufen. Ihre Brust hob und senkte sich vor Anstrengung, nicht wie eine Banshee, eine Todesfee, zu schreien. Sie marschierte zwischen den Blumen hindurch wie ein Soldat, während sie gegen den Schock und die Verzweiflung und ihren Zorn ankämpfte. Vor allem gegen den Zorn.
Diese Frauen. Diese engstirnigen, selbstgerechten, scheinheiligen Drachen. Wie konnten sie es wagen, sie zu verurteilen? Wie konnte Jack es wagen, sie anzuklagen. Und wie konnte sie dies zulassen?
Vor fünf Jahren war sie gegangen, wie man es von ihr verlangt hatte. Sie war verschwunden, als wäre sie nie geboren worden, und hatte sich versteckt. Jede Zurückweisung, die sie erfahren hatte, war ein weiterer Schritt auf dem Weg in die Vergessenheit gewesen. Sie hatte das Schandmal getragen, obwohl sie nichts Verwerfliches getan hatte, und hatte den Preis für Verbrechen gezahlt, die sie nie begangen hatte.
Und jetzt waren die Frauen gekommen, um sie wieder davonzujagen. Und Jack hatte auf sie gehört.
Wie hatte er sie verhöhnen können? Wie hatte er die bösen Worte zweier gelangweilter Matronen der feinen Gesellschaft für bare Münze nehmen können? Hatte sie wirklich angefangen zu glauben, ihn von der Wahrheit überzeugen zu können, nur weil sie ihn gerettet und sich um ihn gesorgt und ihn geliebt hatte?
Sie lachte. Es war ein harter, knapper Laut. Ja. Sie hatte es geglaubt. Wie dumm von ihr. Es war, dachte sie und presste ihre Hände auf ihre brennende Brust, der letzte Strohhalm gewesen.
Sie würde sich einen anderen Ort suchen müssen, an den sie ziehen und an dem sie leben konnte. Egal, wie freundlich Lady Kate auch war, es war ungerecht, von ihr zu erwarten, die Last für Olivias Schande zu tragen. Sie würde sich genau wie beim letzten Mal wieder verstecken müssen, damit Gervaise sie nicht finden konnte, damit niemand sie wiedererkannte und damit sie nicht wieder ihre Stellung verlor. Sie würde einen anderen Weg finden müssen, um zu überleben.
Oh Gott, sie konnte es nicht ertragen.
Als wäre sie gegen eine Wand gelaufen, blieb sie abrupt stehen.
Nein. Sie konnte es ertragen.
Jack würde nicht zu ihr zurückkommen. Nach dem heutigen Nachmittag war sie sich auch nicht sicher, ob sie ihn noch wollte. Sie würde jedenfalls nicht zulassen, dass er sie noch einmal zerstörte. Dass alle sie noch einmal zerstörten.
»Olivia? Kann ich irgendetwas tun?«
Beim Klang von Graces Stimme zuckte Olivia zusammen. Sie sah auf und erblickte ihre Freundin, die in der Glastür zur Bibliothek stand. »Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht dabei erwischen lassen, mit mir zu reden, Grace. Ich fürchte, meine Tarnung ist aufgeflogen, und ich bin wieder einmal eine Persona non grata. «
Grace legte den Kopf schräg, als würde sie nachdenken. »Wissen Sie, Olivia, ich habe mein ganzes Leben damit zugebracht, gewissenhaft solch berühmt-berüchtigten Menschen aus dem Weg zu gehen. Inzwischen glaube ich, dass ich eine Menge verpasst habe. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern bleiben.«
Olivia trat zu ihrer Freundin und umarmte sie fest. »Ich sollte eigentlich Nein sagen«, erwiderte sie. »Aber Sie und Lady Kate sind meine einzigen Freundinnen, und ich weiß, was ich sagen würde, wenn sie mich zu meinem eigenen Besten fortschicken
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