Unverhofft verliebt
etwas Gemütlichkeit gut gebrauchen konnte. Mit zitternden Knien ließ sie sich auf einem gepolsterten Stuhl nieder und lächelte dem jungen Paar kurz zu, das ihr schräg gegenübersaß und sich leise unterhielt. Wie es schien, erwarteten die beiden ebenfalls ein Baby, da die junge Frau bereits einen beachtlichen Bauch vor sich herschob. Claire schluckte gegen den traurigen Kloß im Hals an, als sie beobachtete, wie die andere Frau ihren Kopf an die Schulter ihres Mannes schmiegte und seine Hand nahm, um sie auf ihren Bauch zu legen.
Schnell sah sie wieder weg und konzentr ierte sich auf das Formular, das sie ausfüllen musste. Der heutige Termin war ihr sehr wichtig, weil sie wissen wollte, ob es ihrem Baby gut ging, immerhin gab sie mehr Essen von sich, als sie eigentlich zu sich nahm. Die Angst, dass mit ihrer Schwangerschaft etwas nicht stimmte, machte sie völlig fertig. Das Gefühlschaos, in dem sie sich zurzeit befand, war ein absolutes Grauen. Gestern hatte sie mit ihrer Mom telefoniert, aber kein Sterbenswörtchen verraten, weil sie erstens nichts sagen wollte, bis der Arzt ihr mitgeteilt hatte, dass alles gut aussah, und weil sie zweitens nicht wusste, was sie ihrer Mom sagen sollte. Noch nie hatte sie ihre Mutter angelogen und dachte gar nicht daran, jetzt damit anzufangen und ihr etwas von einer Beziehung vorzuschwindeln, die es nicht gab. Aber wie sollte sie ihrer Mutter erklären, wie ihr Baby gezeugt worden war und weshalb sie den Nachnamen des Erzeugers nicht kannte?
Auch Sabrina, mit der sie vor ein paar Tagen geskypt hatte, wusste noch nicht Bescheid, obwohl ihr natürlich aufgefallen war, dass Claire gar nicht gut aussah. Ihre kleine Schwester konnte so herrlich ehrlich sein. Sie hatte ihrer Sorge mit einem flapsigen Siehst du scheiße aus Ausdruck verliehen. Claire konnte es ihr nicht einmal verübeln, schließlich sah sie wirklich grauenvoll aus. Sie hatte eine Grippe vorgeschoben und das Telefonat rasch abgebrochen, weil sie gemerkt hatte, dass ihr wieder übel wurde.
Claire atmete kurz durch und begann anschließend , den Fragebogen auszufüllen. Da sie bisher nie großartig krank gewesen war und auch keine Vorerkrankungen in ihrer Familie existierten, war sie relativ schnell fertig und legte das Klemmbrett mit dem Fragebogen neben sich auf den Stuhl. Nervös öffnete sie den obersten Knopf ihrer mintgrünen Bluse und strich sich eine lose Haarsträhne hinter das Ohr, die sich aus ihrer Flechtfrisur gelöst haben musste. Trotz der Klimaanlage war ihr furchtbar heiß, weshalb sie sich etwas Luft zufächerte. Auch wenn es ihr schwergefallen war, aus ihrem Pyjama zu steigen, hatte sie sich ins Bad gestellt, ihr Haar auf Vordermann gebracht, etwas Make-up aufgelegt und eine wunderschöne taillierte Bluse mit Plisseefalten sowie eine elegante Leinenhose mit Bundfalten angezogen. Nur ihr Schuhwerk hatte sie an ihre momentane Verfassung angeglichen, da sie flache Ballerinas gewählt hatte, in denen nicht die Gefahr bestand, dass sie wegen ihrer weichen Knie wegknickte.
Als die Sprechstundenhilfe den Raum betrat, um sie zur Blutabnahme zu bringen, merkte Claire, wie nervös und aufgeregt sie war. Glücklicherweise durfte sie sich auf eine Liege legen, als ihr Blut abgenommen wurde, da ihr immer noch ganz zittrig und flau im Magen war. Sobald sie sich wieder aufsetzte, schwindelte ihr ein wenig, aber Claire atmete ein paar Mal tief durch und begab sich wieder ins Wartezimmer, in dem sie einige Zeit saß und in Frauenmagazinen blätterte.
Von Sekunde zu Sekunde steigerte sich ihre Nervosität und sie verfluchte sich, weil sie Liv nicht gebeten hatte, sie zu begleiten. Bei einem Arzt zu sitzen und allein darauf zu warten, dass sie untersucht wurde, war gelinde ausgedrückt ein nervenaufreibendes Geduldsspiel. Sie wollte eigentlich nur hören, dass mit dem Baby alles in Ordnung war. Als die Sprechstundenhilfe wieder das Wartezimmer betrat, klopfte Claires Herz zum Zerspringen, doch sie war gar nicht an der Reihe, da das junge Ehepaar ins Sprechzimmer gebeten wurde.
Claire lehnte sich wieder zurück und schluckte hart.
So hatte sie sich das Ganze wirklich nicht vorgestellt.
Eine halbe Stunde später wurde sie endlich in ein leeres Sprechzimmer geführt, in dem sie warten sollte. Gottergeben setzte sie sich vor einen wunderschön geschnitzten Holzschreibtisch auf einen Sessel und legte ihre Hände in den Schoß. Ihr klopfte das Herz bis zum Hals, während Übelkeit in Wellen über sie hereinbrach.
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