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Unverstanden

Unverstanden

Titel: Unverstanden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Patricia-Cornwell-Thriller lesen, um zu wissen, dass Blut keinen Uhrzeit- und Datumsstempel trug. Wissenschaftlich war nicht zu beweisen, dass Martin die Stoßstange erst nach dem Vorfall berührt hatte. Was für ein Schlamassel!
    Martin hielt die Luft an, als der Gestank frischer Fäkalien in seine Richtung wehte. Es gab zwei Toiletten, beide für alle Insassen deutlich sichtbar. Ein kräftiger, kahlköpfiger Mann saß Zeitung lesend auf der Schüssel und verrichtete sein Geschäft, als wäre es das Normalste auf der Welt. Martin hatte sich damit abfinden müssen, fast sein ganzes Erwachsenenleben in der Nähe von Toiletten zu verbringen, und er hatte sich, als er in die Zelle kam, gleich in die hinterste Ecke verdrückt, aber der Gestank schien von den Wänden abzuprallen und ihn einzuhüllen. Jetzt saß Martin mit an die Brust gezogenen Knien auf dem Boden und konnte an nichts anderes denken als daran, dass das System
einen genau durch so etwas zum Tier machte. Wie lange würde es dauern, bis die Natur siegte und er sich vor den Augen völlig Fremder erleichtern musste? Wie lange, bis er seine Würde völlig verloren hatte und auf den Boden spuckte und sich kratzte wie die anderen Wachteln. Oder waren es Fische? Martin hatte den Slang noch nicht so recht drauf.
    Ach, wenn nur dieser eine Anruf, der ihm zustand, an seinen Vater gegangen wäre und nicht an seine nutzlose Mutter. Sie hatte nicht einmal abgehoben. Der Anrufbeantworter war angesprungen, und Evies ungehobelte Stimme hatte ihn aufgefordert, eine Nachricht zu hinterlassen. Er wusste, dass sie zu Hause war - wegen ihres grauen Stars konnte sie nicht selber Auto fahren - so wie er wusste, dass ihr durchaus klar war, dass er im Gefängnis saß - nein, verrottete!
    Sein Vater hätte seinen einzigen Sohn nicht unter diesen Monstern gelassen. Sein Vater hätte - o Mann, wem wollte er etwas vormachen? Marty Reed war im Leben ebenso nutzlos gewesen wie er es im Tod war. Er war Buchhalter gewesen, wie sein Sohn einer werden sollte, und hatte bis zu seinem plötzlichen Ableben in der statistischen Abteilung einer großen Firma im Stadtzentrum gearbeitet.
Seine Mutter hatte es »den Unfall« genannt, bis die Versicherungsgesellschaft schließlich darauf bestand, dass, egal, wie lange Evie auf dem Gegenteil beharrte, der offizielle Grund für den Tod von Martin Harrison Reed senior Selbstmord gewesen sei.
    So war es passiert: Marty hatte sich ein gutes Lunch aus Schinkensalat mit einem gefüllten Ei zu Gemüte geführt. Er hatte sich etwas auf die Rückseite einer Karteikarte notiert und dann seine Brille abgenommen. Beides ließ er auf seinem Schreibtisch liegen. Dass Marty durchs Büro stolperte und auf dem Weg zum Korridor gegen Tische und Wände stieß (ohne seine Brille war er rechtsgültig blind), kam niemandem irgendwie ungewöhnlich vor. Er hatte die Reste seines Lunchpakets in der Hand, als er sich zum Müllschlucker vortastete. Irgendjemand berichtete von einem Kichern, als die Klappe quietschend aufging - das wäre das letzte Geräusch gewesen, das er gemacht hätte. Marty schrie nicht einmal, als er den Schacht hinuntersauste und dreißig Stockwerke tiefer neben seiner zerdrückten Lunchtüte landete.
    Erst als mehrere Stunden später der Fahrer des Mülllasters die Leiche entdeckte, las jemand tatsächlich die Notiz auf der Rückseite der Karteikarte: »Bitte stiftet meine Brille dem Uralten
Arabischen Orden der Edlen des Mystischen Schreins.«
    »Das ist nett«, hatte seine Mutter gesagt, obwohl sie sehr wütend geworden war, als sie erfuhr, dass diese Edlen keine Frauen zu ihren Versammlungen zuließen. Martin hatte immer angenommen, dass dies das Kichern erklärte. Sein Vater hatte es endlich geschafft, das letzte Wort zu haben.
    »Hey-hey«, johlte jemand. Es gab ein paar Pfiffe und Rufe. Martin reckte den Hals, um durch die Beine der Männer zu sehen, die an den Gitterstangen standen. Er sah einen Tennisschuh … eine Wade …
    »Schnauze, ihr Schwanzlutscher«, sagte An zu den Männern, die nach ihr griffen. »Zurück, bevor ich jedem von euch eine mit meinem Taser verpasse.«
    Martin rappelte sich hoch, sein Herz machte einen Satz, als er ihre Stimme hörte. Die Menge teilte sich, und als er hindurchging, spürte er die neugierigen, wenn nicht sogar neidischen Blicke seiner Zellengenossen auf sich.
    An nickte dem Polizisten neben sich zu, und er schloss die Zellentüre auf.
    »Hier entlang«, sagte An und ging den Gang hinunter.
    Martin stolperte

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