Unverstanden
hing noch das Etikett des Herstellers.
»Ich bin Max Ständer«, sagte er, und An hätte beinahe laut losgeprustet, weil der Name zu einem gut bestückten Pornostar besser gepasst hätte. An konnte nichts dagegen tun, ihr Blick wanderte sofort zu seiner Hose. Ständer bemerkte das natürlich. Seine Lippen kräuselten sich zu einem Grinsen.
An versuchte, professionell zu sein und ihm nicht auf die Hose zu schauen, als sie sich ihm vorstellte: »Ich bin Detective An Albada. Wir haben einige Fragen an Ihren Mandanten im Zusammenhang mit seiner Arbeitskollegin Sandra Burke.«
Er stellte seinen Aktenkoffer auf den Tisch, öffnete die Schlösser, zog einen gelben Block heraus, schloss den Koffer wieder, stellte ihn auf den Boden, setzte sich an den Tisch, zog einen Füller aus seiner Brusttasche, schraubte die Kappe ab und steckte sie hinten auf den Füller, und schrieb erst dann das Wort: »Anabada.«
Martin sagte hilfsbereit: »Ich habe diesen Fehler auch schon gemacht«, nahm seinem Anwalt den Füller ab, strich das Wort durch und schrieb mit runder Schulmädchen-Schrift: Detective Anther Albada. Über das »i« setzte er anstelle eines Punkts sogar einen Kringel.
Hinter An kicherte Bruce. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass er die Arme vor der Brust verschränkt hatte und auf Martin hinabstarrte.
Ständer fragte: »Welche Beweise haben Sie gegen meinen Mandanten?«
Martin setzte an: »Es ist eigentlich lächerlich …«, aber An schnitt ihm mit einem Blick das Wort ab, der bedeuten sollte: »Hat er mit Ihnen gesprochen?«
Sie sagte: »Wir haben auf Mr. Reeds Auto sein Blut vermischt mit dem des Opfers gefunden. Wir haben schlüssige Beweise dafür, dass Ms. Burke mit Mr. Reeds Auto überfahren wurde.«
Martins Gesicht wurde noch bleicher als blass. »Ich habe mir die Hände aufgeschnitten«, erklärte er. »Die vordere Stoßstange hing halb herunter. Daher die Schnitte an meinen Händen.« Er hielt seine Handflächen in die Höhe, und An sah die kreuz und quer laufenden, rasiermesserdünnen Schnitte. Bei seiner Verhaftung hatten sie die Wunden fotografiert, und jetzt dachte An, was sie damals auch schon gedacht hatte: Wenn Sandra Burke mit einem tödlichen Papierschnitt umgebracht worden wäre, dann hätten sie jetzt einen wasserdichten Fall.
Ständer fragte: »Wo wurde ihre Leiche gefunden?«
»Weniger als eine halbe Meile von Mr. Reeds Arbeitsstelle entfernt - an der Strecke, auf der er jeden Tag nach Hause fährt.«
Ständer wirkte überrascht. »Ach, tatsächlich?«
»Wir glauben, dass er seine Mutter nach Hause fuhr und sich dann auf die Suche nach der Frau machte, die ihn zwei Tage zuvor gedemütigt hatte.« An beobachtete Martin, während sie das Szenario darlegte. Er sah nicht aus wie jemand, der schäumen würde vor Hass, andererseits war sie eine erwachsene Frau, die eine achtjährige Beziehung mit einer eingebildeten Freundin gehabt hatte. Was konnte man also schon sagen?
Ständer fragte: »Hat er ein Alibi?«
»Nein.«
»O weh«, machte Ständer. Er schaute auf seinen Notizblock hinunter, auf dem er Ans Namen mit seinem Füller einkreiste. Als er merkte, dass sie ihm zusah, zwinkerte er ihr zu und machte ein Herz aus einem der Kreise.
»Sind Sie Narkoleptiker?«, fragte Martin seinen Anwalt.
Ständer schüttelte den Kopf. »Schön wär’s.«
An klappte die Mappe auf, die Bruce ihr gegeben hatte, hielt sie dabei allerdings schräg, sodass Martin und sein Anwalt den Inhalt nicht sehen konnten. Die Fotos waren krass und grausam.
Sandy war nicht nur von einem Auto überfahren worden. Ihre Leiche wies starke Prellungen auf, offensichtlich hatte man sie mehrfach mit einem stumpfen Gegenstand geschlagen. Am Tatort hatte der Leichenbeschauer vermutet, dass es sich vielleicht um ein Stück Holz oder etwas mit einem kantigen Ende gehandelt hatte. Als An dann den Kofferraum von Martins Camry geöffnet und seinen Aktenkoffer mit der kaputten Kante gesehen hatte, hatte sie den Koffer mit auf die Liste potenzieller Mordwaffen gesetzt.
Der Leichenbeschauer konnte die Szene problemlos interpretieren: Das Auto war benutzt worden, um das Opfer zu Boden zu werfen. Die eigentliche Todesursache waren die darauffolgenden Schläge gewesen. Dann war der Mörder wieder ins Auto gestiegen und dem Opfer über den Kopf gefahren. Dann über den Oberkörper. Dann noch einmal über den Kopf.
An musste zugeben, wenn auch nur sich selbst, dass sie wenig Mitleid mit dem Opfer empfand. Sandra Burke
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