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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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andere vergessen, vor allem auch das, daß er, all seiner Meriten unerachtet, doch eigentlich in allem, was Erscheinung anging, eine komische Figur war. Solange er bei Tische saß, ging es; wenn er dann aber aufstand, zeigte sich's, was die Natur einerseits zuviel und andererseits zuwenig für ihn getan hatte. Seine Sockelpartie nämlich ließ viel zu wünschen übrig, was die Prinzessin dahin ausdrückte, »sie habe nie einen Menschen gesehen, der sowenig auf Stelzen ginge wie Baron Pentz«. Da sie dies Wort immer nur zitierte, wenn in seinem Sprechen etwas moralisch sehr »Ungestelztes« vorausgegangen war, so genoß sie dabei die Doppelfreude, ihn mit ein und demselben Worte ridikülisiert und beglückt zu haben. Er war von großer Beweglichkeit und hätte danach ein ewiges Leben versprochen, wenn nicht sein Embonpoint, sein kurzer Hals und sein geröteter Teint gewesen wären, drei Dinge, die den Apoplektitus verrieten.
    Als Pentz' Gegenstück konnte Erichsen gelten; wie jener ein Apoplektikus, so war dieser ein geborener Hektikus. Er stammte aus einer Schwindsuchtsfamilie, die, weil sie sehr reich war, die Kirchhöfe sämtlicher klimatischer Kurorte mit Denkmälern aus Marmor, Syenit und Bronze versorgt hatte. Die Zeichen der Unsterblichkeit auf eben diesen Denkmälern waren aber überall dieselben, und in Nizza, San Remo, Funchal und Kairo, ja prosaischerweise auch in Görbersdorf, schwebte der Schmetterling, als wenn er das Wappen der Erichsen gewesen wäre, himmelan. Auch unser gegenwärtiger Kammerherr Erichsen, seit etwa zehn Jahren im Dienste der Prinzessin, hatte den ganzen Kursus »durchschmarutzt«, ihn aber glücklicher absolviert als andere seines Namens. Von seinem vierzigsten Jahre an war er seßhaft geworden und konnte sich die ruhigen Tage gönnen, was er so weit trieb, daß er kaum noch Kopenhagen verließ. Er hatte das Reisen satt bekommen, zugleich aber aus seinen ärztlich verordneten Entsagungstagen auch eine Abneigung gegen alle Extravaganzen in sein derzeitiges Hofleben mit herübergenommen. Daran gewöhnt, von Milch, Hühnerbrust und Emser Krähnchen zu leben, fiel ihm, wie Pentz sagte, bei Festmahlen und Freudenfeiern immer nur die Aufgabe zu, durch seine lange, einem Ausrufungszeichen gleichende Gestalt, vor allem, was an Bacchuskultus erinnern konnte, zu warnen. »Erichsen das Gewissen« war einer der vielen Beinamen, die Pentz ihm gegeben hatte.
    Von dem Hause der Witwe Hansen in der Dronningens-Tvergade bis zu Vincents Restaurant am Kongens Nytorv war nur ein Weg von fünf Minuten. Erichsen mußte, nach Pentz' Weisung, rekognoszierend vorangehen, »weil ihm seine sechs Fuß einen besseren Überblick über die Vincentschen Platzzustände gestatten würden«. Und zu dieser vorsichtigen Weisung, so scherzhaft sie gegeben war, war nur zu guter Grund vorhanden; denn als eine Minute nach Erichsen auch Pentz und Holk in das Lokal eintraten, schien es unmöglich, einen noch unbesetzten Tisch zu finden. Aber schließlich entdeckte man doch eine gute Ecke, die nicht nur ein paar bequeme Plätze, sondern auch ein behagliches Beobachten versprach.
    »Ich denke, wir beginnen mit einem mittleren Rüdesheimer. Doktor Grämig, beiläufig der lustigste Mensch von der Welt, sagte mir neulich, es sei merkwürdig, daß ich noch ohne Podagra sei, worauf ich nicht bloß meiner Lebensweise, sondern ganz besonders auch meiner Lebensstellung nach einen sozusagen historisch verbrieften Anspruch hätte. Je mehr er aber damit recht haben mochte, je mehr gilt es für mich, die noch freie Spanne Zeit zu nutzen. Erichsen, was darf ich für Sie bestellen? Biliner oder Selters oder phosphorsaures Eisen...«
    Ein Kellner kam, und eine kleine Weile danach, so stießen alle drei mit ihren prächtig geschliffenen Römern an, denn auch Erichsen hatte von dem Rüdesheimer genommen, nachdem er sich vorher einer Wasserkaraffe versichert hatte.
    »Gamle Danmark«, sagte Pentz, worauf Holk, ein zweites Mal anstoßend, erwiderte: »Gewiß, Pentz, gamle Danmark. Und je ›gamler‹, desto mehr. Denn was uns je trennen könnte – gebe Gott, daß der Tag fern sei –, das ist das neue Dänemark. Das alte, da bin ich mit dabei, dem trink ich zu. Friedrich VII. und unsere Prinzessin... Aber sagen Sie, Pentz, was ist nur in meine guten Kopenhagener gefahren und vor allem in diese gemütliche Weinstube? Sehen Sie doch nur da drüben, wie das alles aufgeregt ist und sich die Blätter aus den Händen reißt. Und Oberstlieutenant

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