Unwiederbringlich
geglaubt haben, die Prinzessin könne vorhaben, Ihren Bericht über eine samstägliche Lohnauszahlung verbieten zu wollen.«
Die Prinzessin weidete sich an Schleppegrells Verlegenheit, und Ebba, nicht willens, ihren Vorteil aus der Hand zu geben, fuhr fort: »Sie sehen, Sie können aus Ihrer schrecklichen Lage nur heraus, wenn Sie sich rundweg entschließen, Farbe zu bekennen, und uns die Geschichte so gehen, wie sie wirklich gewesen.«
Schleppegrell, der sich altmodischerweise die Serviette quer über die Brust gebunden hatte, löste mechanisch den Knoten, legte die Serviette neben sich und sagte: »Nun gut, wenn Sie befehlen; es gibt noch eine zweite Lesart, von der es allerdings heißt, daß sie die richtigere sei. Der König ging mit Christine Munk, die seine Gemahlin war und auch wieder nicht war, etwas, das in unsrer Geschichte leider mehrfach vorkommt, im Schloßgarten spazieren, und mit den beiden war Prinz Ulrich und Prinzessin Fritz-Anna, und als sie bis an diesen Stein gekommen waren, setzten sie sich, um eine Plauderei zu haben.
Und der König war so gnädig und liebenswürdig wie nie zuvor. Aber Christine Munk, aus Gründen, die bis diesen Augenblick niemand weiß oder auch nur ahnen kann (oder vielleicht auch hatte sie keine), schwieg in einem fort und sah so sauertöpfisch und griesgrämig drein, daß es eine große Verlegenheit gab. Und was das Schlimmste von der Sache war, diese Verstimmung Christinens hatte Dauer und war noch nicht vorüber, als der Abend herankam und der König in das Schlafgemach wollte. Da fand er die Tür verriegelt und verschlossen und mußte seine Ruh an einer andern Stelle nehmen. Und da solches dem Könige vordem nie widerfahren war, weil Christine nicht nur zu den bestgelaunten, sondern auch zu den allerzärtlichsten Frauen gehörte, so beschloß der König diesen merkwürdigen Ausnahmetag zu verewigen und ließ Namen und Jahreszahl in den Stein einmeißeln, wo der rätselvolle eheliche Zwist seinen Anfang genommen hatte.«
»Nun«, sagte die Prinzessin, »das ist freilich um einen Grad intrikater, aber doch auch noch lange nicht dazu angetan, mich als Schreckgespenst der Prüderie heraufzubeschwören, wie mein lieber Schleppegrell heute vormittag getan zu haben scheint. Übrigens apropos Prüderie! Da habe ich gestern in einem französischen Buche gefunden, ›Prüderie, wenn man nicht mehr jung und schön sei, sei nichts als eine bis nach der Ernte noch stehengebliebene Vogelscheuche‹. Nicht übel; die Franzosen verstehen sich auf dergleichen. Was aber, um unser Thema nicht zu vergessen, die Geschichte vom König Christian und seinem ›Ausgeschlossensein‹ angeht, so wünschte ich wohl, all unsere Königs- und Prinzengeschichten, die jetzt nur das Gegenteil davon kennen, wiesen eine ähnliche Harmlosigkeit auf, ein Wunsch, in dem mir Graf Holk sicherlich zustimmen wird. Sagen Sie, Graf, wie finden Sie die Geschichte?«
»Die Wahrheit zu gestehen, gnädigste Prinzessin, ich finde die Geschichte zu kleinen Stils und überhaupt etwas zu wenig.«
»Zu wenig«, wiederholte Ebba. »Da möcht ich doch widersprechen dürfen. Das mit der samstäglichen Lohnauszahlung, das war zu wenig, aber nicht
dies
. Eine Frau, die griesgrämig und sauertöpfisch dreinsieht, ist nie wenig, und wenn ihre schlechte Laune so weit geht, ihren Eheherrn von ihrer Kammer auszuschließen (ich bedaure, diesen Punkt berühren zu müssen, aber die Historie verlangt Wahrheit und nicht Verschleierungen), so ist das vollends nicht wenig. Ich rufe meine gnädigste Prinzessin zum Zeugen auf und flüchte mich unter ihren Schutz. Aber so sind die Herren von heutzutage; König Christian läßt das Ereignis in Stein eingraben, als eine merkwürdige Sache, die zu den fernsten Zeiten sprechen soll, und Graf Holk findet es wenig und zu ›kleinen Stils‹.«
Holk sah sich in die Enge getrieben, und zugleich wahrnehmend, daß die Prinzessin augenscheinlich in der Laune war, auf Ebbas Seite zu treten, fuhr er unsicher hin und her und versicherte, während er abwechselnd einen ernsthaften und dann wieder ironischen Ton anzuschlagen versuchte, daß man in solcher Angelegenheit einen privaten und einen historischen Standpunkt durchaus unterscheiden müsse; vom privaten Standpunkt aus sei solch »Ausgeschlossensein« etwas tief Betrübliches und beinah Tragisches, ein ausgeschlossener König aber sei ganz unstatthaft, ja dürfe gar nicht vorkommen, und wenn die Geschichte dennoch dergleichen berichte, so begäbe
Weitere Kostenlose Bücher