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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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sie sich eben ihrer Hoheit und Würde und gerate in das hinein, was er wohl oder übel »kleinen Stil« genannt habe.
    »Er zieht sich gut heraus«, sagte die Prinzessin. »Nun, Ebba, führe deine Sache weiter.«
    »Ja, gnädigste Prinzessin, das will ich auch, und wenn ich es als ein deutsches Fräulein vielleicht nicht könnte, so kann ich es doch als eine reine Skandinavin.«
    Alles erheiterte sich.
    »Als eine reine Skandinavin«, wiederholte Ebba, »natürlich mütterlicherseits, was immer das Entscheidende ist; der Vater bedeutet nie viel. Und nun also unsere These. Ja, was Graf Holk da sagt... nun ja, von seinem schleswig-holsteinschen Standpunkt aus mag er recht haben mit seiner Vorliebe für das Große. Denn sein Protest gegen den kleinen Stil bedeutet doch natürlich, daß er den großen will. Aber was heißt großer Stil? Großer Stil heißt soviel wie vorbeigehen an allem, was die Menschen eigentlich interessiert. Christine Munk interessiert uns, und ihre Verstimmung interessiert uns, und was dieser Verstimmung an jenem denkwürdigen Abend folgte, das interessiert uns noch viel mehr...«
    »Und am meisten interessiert uns Fräulein Ebba in ihrer übermütigen Laune...«
    »Von der ich in diesem Augenblicke vielleicht weniger habe als sonst. Soweit ich ernsthaft sein kann, soweit bin ich es. Jedenfalls aber behaupte ich mit jedem erdenklichen Grade von Ernst und Aufrichtigkeit und will in jeder Mädchenpension darüber abstimmen lassen, daß König Heinrich VIII. mit seinen sechs Frauen alle Konkurrenz ›großen Stils‹ aus dem Felde schlägt, und nicht wegen der paar Enthauptungen, die finden sich auch anderswo, sondern wegen der intrikaten Kleinigkeiten, die diesen Enthauptungen vorausgingen. Und nach Heinrich VIII. kommt Maria Stuart, und nach ihr kommt Frankreich mit seiner Fülle der Gesichte, von Agnes Sorel an bis auf die Pompadour und Dubarry, und dann kommt Deutschland noch lange nicht. Und als allerletztes kommt Preußen, Preußen mit seinem großen Manko auf diesem Gebiet, mit dem es auch zusammenhängt, daß einige Schriftstellerinnen von Genie dem großen Friedrich ein halbes Dutzend Liebesabenteuer angedichtet haben, alles nur, weil sie ganz richtig fühlten, daß es ohne dergleichen eigentlich nicht geht.«
    Pentz nickte zustimmend, während Holk den Kopf hin und her wiegte.
    »Sie drücken Zweifel aus, Graf, vor allem vielleicht einen Zweifel an meiner Überzeugung. Aber es ist, wie ich sage. Großer Stil! Bah, ich weiß wohl, die Menschen sollen tugendhaft sein, aber sie sind es nicht, und da, wo man sich drin ergibt, sieht es im ganzen genommen besser aus als da, wo man die Moral bloß zur Schau stellt. Leichtes Leben verdirbt die Sitten, aber die Tugendkomödie verdirbt den ganzen Menschen.«
    Und als sie so sprach, fiel aus einem der die Tafel umstehenden Tannenbäumchen ein Wachsengel nieder, just da, wo Pentz saß. Der nahm ihn auf und sagte: »Ein gefallener Engel; es geschehen Zeichen und Wunder. Wer es wohl sein mag?«
    »Ich nicht«, lachte Ebba.
    »Nein«, bestätigte Pentz, und der Ton, in dem es geschah, machte, daß sich Ebba verfärbte. Aber ehe sie den Übeltäter dafür abstrafen konnte, ward es hinter der Tannen- und Zypressenwand wie von trippelnden Füßen lebendig. Zugleich wurden Anordnungen laut, wenn auch nur mit leiser Stimme gegeben, und alsbald intonierten Kinderstimmen ein Lied, und ein paar von Schleppegrell zu dieser Weihnachtsvorfeier gedichtete Strophen klangen durch die Halle.
     
    »Noch ist Herbst nicht ganz entflohn,
    Aber als Knecht Ruprecht schon
    Kommt der Winter hergeschritten,
    Und alsbald aus Schnees Mitten
    Klingt des Schlittenglöckleins Ton.
     
    Und was jüngst noch, fern und nah,
    Bunt auf uns herniedersah,
    Weiß sind Türme, Dächer, Zweige,
    Und das Jahr geht auf die Neige,
    Und das schönste Fest ist da.
     
    Tag du der Geburt des Herrn,
    Heute bist du uns noch fern,
    Aber Tannen, Engel, Fahnen
    Lassen uns den Tag schon ahnen,
    Und wir sehen schon den Stern.«
     
     

Dreiundzwanzigstes Kapitel
     
    Die kleine Weihnachtsvorfeier, die mit einem Geplauder am Kamin (Grundtvig war das Hauptthema gewesen) abgeschlossen hatte, hatte sich bis Dunkelwerden hingezogen, und die sechste Stunde war schon vorüber, als man aufbrach, nachdem sich die Prinzessin kurz vorher in ihre Gemächer zurückgezogen. Holk begleitete wieder das Schleppegrellsche Paar, diesmal aber bis in die Stadt selbst hinein, und kehrte erst, nachdem er zugesagt hatte, bei

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