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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Überblick ermöglichte sich erst wieder, als die Mehrzahl an zwei rasch zurechtgemachten Spieltischen Platz genommen hatte, links die Schimmelmann mit Pentz und Lundbye, rechts die Pastorin mit Erichsen und Westergaard. Holk und Bie, die gern mitgespielt und das Whist mit dem Strohmann zu einem richtigen Whist erhoben hätten, mußten auf Mitspiel verzichten, weil Schleppegrell, den man doch nicht allein lassen konnte, grundsätzlich keine Karte nahm. Nun war freilich noch Ebba da; diese hatte sich aber, als Wirtin, jedem einzelnen auf wenigstens Augenblicke zu widmen, und trotzdem der Tisch vorsorglich im voraus gedeckt war, gab es doch noch vielerlei zu tun, und die Weisungen an Karin und den zur Aushülfe mit herangezogenen Gärtner nahmen kein Ende.
    Holk und Bie, nachdem sie sich in den Verzicht gefunden, hatten sich schließlich in eine Ecke zurückgezogen, die dicht neben der Alkovennische durch einen vorspringenden Mauerpfeiler gebildet wurde. Hier war man denn auch bald in einer intimen Unterhaltung, die der allzeit wißbegierige Holk natürlich nach Island hinüberzuspielen wußte.
    »Wissen Sie, Doktor Bie, daß ich Sie wegen Ihres schiffsärztlichen Aufenthalts da oben geradezu beneide, nicht wegen Skorbut und der Amputationen, die ja dabei vorkommen sollen, aber doch wegen des Ethnographischen...«
    Bie, nur höherer Feldscher, der das Wort »ethnographisch« vielleicht noch nie gehört, jedenfalls aber über seine Bedeutung nie nachgedacht hatte, schrak etwas zusammen und hätte so ohne weitres nicht Red und Antwort stehen können; der ganz in Fragelust aufgehende Holk aber sah nichts davon und fuhr fort: »Und wenn uns Island bloß ein beliebiges Etwas wäre, das uns so eigentlich nichts anginge, nun, so könnte man mit seinem Interesse zurückhalten; aber die Isländer sind doch unsre halben Brüder und beten jeden Sonntag für König Friedrich geradeso gut wie wir und vielleicht noch besser. Denn es sind ernste und fromme Männer. Und wenn ich dann denke, daß man so in den Tag hineinlebt und gerade von dem nichts weiß, von dem man recht eigentlich was wissen müßte, dann schäme ich mich und mache mir beinah Vorwürfe. Was wäre, wie mir mein alter Pastor Petersen drüben wohl hundert Male versichert hat, was wäre beispielsweise die ganze germanischskandinavische Literatur, wenn wir den Snorre Sturleson, diesen Stolz der Isländer, nicht gehabt hätten? Was wäre es mit der Edda und vielem andren? Nichts wär es damit. Und nun frag ich Sie, Doktor Bie, sind Sie während Ihrer isländischen Tage diesen Dingen als einem Etwas begegnet, das noch jeder kennt und liebt und singt und sagt, die Frauen und Mädchen in den Spinnstuben und die Männer, wenn sie auf den Robbenfang ziehen?«
    Schleppegrell, der all diese Fragen mit angehört hatte, wurde verlegen in die Seele seines Schwagers hinein, Bie selbst aber hatte sich inzwischen erholt und sagte mit gutem Humor: »Ja, das weiß eigentlich alles mein Schwager Schleppegrell viel besser, der
nicht
da war; Personen, die nicht da waren, wissen immer alles am besten. Ich weiß von den Isländern bloß, daß ihre Betten besser sein könnten, trotzdem sie die Eidergans sozusagen vor der Tür haben. Und die Federn sind auch wirklich gut, und man liegt auch warm darin, was da oben, um recht und billig zu sein, doch immer die Hauptsache bleibt. Aber das Linnen, das ist die schwache Seite. Daß die Fäden mitunter wie Bindfaden nebeneinander liegen, nun, das möchte gehen; aber was die Engländer die cleanliness nennen, damit hapert es. Man merkt zu sehr, daß es da mehr Eis als Wasser gibt und daß die Wäscherinnen froh sind, wenn sie die Hände wieder in ihren Pelzhandschuhen haben. Es ist kein Land der Reinlichkeiten, soviel ist zuzugeben. Aber einen Lachs gibt es comme il faut. Und dann was das Getränk angeht! Einige denken bloß immer an Isländisch Moos; nun, das gibt es auch, aber ich kann Ihnen versichern, Herr Graf, einen besseren Whisky hab ich nirgends in der Welt gefunden, nicht in Kopenhagen und nicht in London, und nicht einmal in Glasgow, wo doch das Feinste davon zu Hause ist.«
    Das isländische Gespräch setzte sich noch eine Weile fort, und der anfangs immer nur verlegen dreinschauende Schleppegrell hatte schließlich seine Freude daran, Holks unausgesetzt auf das »Höhere« gerichtete Fragen von Bie geschickt umgangen zu sehen. Ebba, von Zeit zu Zeit hinzutretend, lachte, wenn sie das Gespräch immer noch auf dem alten Flecke fand, und

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