Unwiederbringlich
ein bißchen Trojanischen Krieg zu kennen, um vor den alten Zeiten und ihrem Mut einen sehr bedeutenden Respekt zu haben, einen noch bedeutenderen als vor dem skandinavischen Mut, von dem Doktor Bie so schön und in für mich persönlich so schmeichelhafter Weise gesprochen hat.«
Westergaard und Lundbye versicherten a tempo, daß sich die Zeiten in dem wichtigsten Punkte, nämlich in dem Heldenmute der Leidenschaft, immer gleichblieben und daß sie sich für ihre Person dafür verbürgen wollten, die Liebe schaffe noch dieselben Wunder wie früher.
Alles teilte sich sofort in zwei Lager, in solche, die derselben Meinung waren (unter diesen, strahlenden Gesichts, die kleine Frau Pastorin), und in solche, die rundheraus verneinten. An der Spitze dieser stand natürlich Ebba. »Dieselben Wunder«, wiederholte sie. »Das ist unmöglich, denn diese Wunder sind Produkte dessen, was der Welt verlorengegangen ist, Produkte großer erhabner Rücksichtslosigkeiten. Ich wähle dies Wort, weil ich das Wort ›Leidenschaft‹, das freilich von andrer Seite schon gefallen ist, gern vermeiden möchte, von Rücksichtslosigkeiten aber läßt sich sprechen, ja, man braucht nicht einmal rot dabei zu werden. Und nun frage ich Sie, und den Herren Capitanos an der Spitze, wer unter Ihnen hat Lust, um Helenas willen einen Trojanischen Krieg anzuzetteln? Wer tötet um Klytämnestras willen Agamemnon?«
»Wir, wir.« Und Pentz, eine vierzinkige Gabel zückend, setzte sogar hinzu: »Ich bin Ägisth.«
Alles lachte, Ebba ihrerseits aber fuhr in immer wachsendem Übermute fort: »Nein, meine Herren, es bleibt dabei, die Rücksichtslosigkeiten sind aus der Welt gegangen. Allerdings, soviel ist einzuräumen (und es steht bei Ihnen, dies gegen mich auszunutzen), allerdings finden sich auch im Altertum vereinzelte Anfälle von Schwäche. So entsinn ich mich, vor grauen Jahren, denn ich war noch im Flügelkleide, die Racinesche ›Phädra‹ gesehen zu haben, mit der berühmten Rachel in der Titelrolle; – sie kam von Petersburg und nahm unser armes Stockholm nur so nebenher mit. Nun denn, besagte Phädra liebt ihren Stiefsohn, also sozusagen einen ganz fremden Menschen, der gar kein Recht hat, die Blutsfrage zu betonen, und dieser Stiefsohn verweigert sein ›Ja‹, lehnt die Liebe einer schönen Königin ab. Vielleicht der erste Décadence-Fall, erstes Vorspuken des schwächlich Modernen.«
»Oh, nicht doch«, versicherte Lundbye. »Nicht des Modernen. Das Moderne verurteilt solche Schwäche von Grund aus«, und Pentz seinerseits setzte hinzu: »Schade, daß wir keine Phädra zur Hand haben, um die Streitfrage sofort zum Austrag zu bringen; man müßte denn vielleicht von Skodsborg her...« Aber hier unterbrach er sich, weil er inmitten seiner Rede wahrnahm, daß ihn die beiden Offiziere scharf fixierten, um ihn wissen zu lassen, daß er in ihrer Gegenwart den Namen der Danner, der ihm schon auf der Zunge schwebte, nicht spöttisch ins Gespräch ziehen dürfe.
Gleich danach wurde die Tafel aufgehoben, und alles rüstete sich zum Aufbruch, wobei sich Holk, als einziger Mitbewohner des Ebba-Turmes, wie halb verpflichtet fühlte, die Gäste bis in das als Garderobe dienende Flurzimmer Karins zu begleiten. Hier blieb er auch, bis alle sich entfernt hatten. Dann aber gab er Karin die Hand, schlug vor, Fenster und Tür zu öffnen, da sie's mit dem Ofen zu gut gemeint habe, und stieg rasch wieder die Treppe hinauf.
Oben in der offnen Tür stand Ebba, die Lichter brannten noch auf dem Tisch, und es mochte Holk, als er sie so sah, zweifelhaft sein, ob sie, vom Treppengeländer her, nur auf das Abschiednehmen unten oder aber auf seine Rückkehr gewartet hatte. »Gute Nacht«, sagte sie und schien sich, unter einer scherzhaft feierlichen Verbeugung, von der Schwelle her in ihr Zimmer zurückziehen zu wollen. Aber Holk ergriff ihre Hand und sagte: »Nein, Ebba, nicht so; Sie müssen mich hören.« Und mit eintretend sah er sie verwirrt und leidenschaftlich an.
Sie aber entwand sich ihm leicht, und anknüpfend an das vor wenig Minuten erst geführte Gespräch, sagte sie: »Nun, Holk, in welcher Rolle? Paris oder Ägisth? Sie haben gehört, daß sich Pentz dazu gemeldet.«
Und dabei lachte sie.
Diese Heiterkeit aber steigerte nur seine Verwirrung, an der sie sich eine Weile weidete, bis sie zuletzt halb mitleidig bemerkte: »Holk, Sie sind doch beinah deutscher als deutsch... Es dauerte zehn Jahre vor Troja. Das scheint Ihr
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