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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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wandte sich dann rasch wieder den Spieltischen zu, wo sie mal zu Nutz und Frommen der Frau Pastorin und dann wieder für die Schimmelmann die Strohmannkarten aufnahm und auf den Tisch legte, bis der beständig in Verlust stehende Pentz dagegen protestierte. Nichts war Ebba willkommner, und ihre Spieltisch-Gastrolle wieder aufgebend, machte sie sich bei dem Kamin zu schaffen und schüttete Kohlen und Wacholdergezweig auf das verlöschende Feuer, freilich immer nur wenig, weil die vielen Lichter, die brannten, ohnehin dafür sorgten, daß von der draußen herrschenden Kälte nichts fühlbar wurde. Zudem hatte der den Tag über herrschende Frost, seit den ersten Flocken, die fielen, erheblich nachgelassen, und nur der Wind war stärker geworden, was man wahrnehmen konnte, wenn die lächelnd und gewandt die Bedienung machende Karin mit dem einen oder andern Tablett in die Tür trat.
    Nun aber war es zehn, das Spiel beendet, und während man, um Platz zu schaffen, die Spieltische beiseite schob, wurde der nur an drei Seiten gedeckte Eßtisch, weil niemand das Kaminfeuer im Rücken haben wollte, quer durch das Zimmer gestellt. Die Schimmelmann hatte den Ehrenplatz in der Mitte der Tafel, Holk und Pentz neben ihr; dann kamen, nach rechts und links hin, die vier andern Herren, während die Pastorin und Ebba an den zwei Schmalseiten saßen, um von hier aus den Tisch am besten überblicken und, wenn's not tat, wirtschaftlich eingreifen zu können. Und war schon vorher die Stimmung eine gute gewesen, so wuchs sie jetzt noch, wozu Doktor Bie durch seine nach den verschiedensten Seiten hin gelegenen Tafelvorzüge das meiste beitrug. Er war nämlich nicht bloß Geschichtenerzähler und Toast-Ausbringer, sondern vor allem auch ausgesprochener Lachvirtuose, was ihn in den Stand setzte, nicht bloß seine eignen, sondern auch andrer Leute Anekdoten mit wahren Lachsalven unkritischen Beifalls zu begleiten und dadurch alle mit fortzureißen, auch solche, die gar nicht wußten, um was sich's eigentlich handelte. Selbst die Schimmelmann hatte, zur Genugtuung aller, ihre ganz unverkennbare Freude daran, was übrigens nicht ausschloß, daß nach ihrem Rückzuge, der jedesmal um elf Uhr erfolgte, die Heiterkeit der Tafel eine noch erhebliche Steigerung erfuhr. Zu dieser Steigerung wirkte freilich auch noch ein andres mit, und dies andre war der schwedische Punsch, der nicht regelmäßig, aber heute wenigstens in einer großen silbernen Bowle aufgetragen wurde. Jeder war seines Lobes voll, am meisten Bie, der denn auch beim fünften Glase, bei dem er verhältnismäßig rasch angelangt war, sich erhob, um unter gnädiger Erlaubnis der Damen einen Toast auszubringen. »Ja, einen Toast, meine Damen. Aber wem soll er gelten? Natürlich unsrer liebenswürdigen Wirtin, in der unser schwedisches Brudervolk – wie wir ein Meervolk, ein Volk der See – sozusagen seinen höchsten Ausdruck findet. Aus dem Meere, wie wir alle wissen, ist die Schönheit geboren, aber aus dem Nordmeer auch der nordische Mut, der schwedische Mut. Ich war nicht Zeuge von dem, was dieser Nachmittag von einem solchen echten Nordlandsmut gesehen hat, aber ich habe davon gehört. Und am Rande des Todes hinzuschweben, ein Fehltritt, und die Tiefe hat uns für immer, das ist des Lebens höchster Reiz. Und dies Leben ist ein Nordlandsleben. Wo das Eis beginnt, da hat das Herz seine höchste Flamme. Hoch Nordland und hoch seine schöne, seine mutige Tochter!«
    Alle Gläser klangen zusammen, und die »Eskapade nach dem Arre-See«, wie sie schon mehrfach an diesem Tage der Gegenstand scherzhafter Bemerkungen gewesen war, wurd es aufs neue. Pentz, der weder Holk noch Ebba traute, gefiel sich in Fortsetzung seiner Spöttereien und malte mit Behagen aus, was aus beiden geworden wäre, wenn sich eine Eisscholle, mit einem Tannenbaum darauf, unter ihnen losgelöst und sie aufs hohe Meer hinausgetragen hätte. Vielleicht wären sie dann in Thule gelandet. Oder vielleicht auch nicht und hätten auf ihrer Scholle nichts gehabt als den kleinen Weihnachtsbaum ohne Nuß und Marzipan. Und Holk hätte sich dann getötet und sein Herzblut angeboten, unter Anklängen an den unvermeidlichen Pelikan. In alten Zeiten wären solche Dinge vorgekommen.
    »In alten Zeiten«, lachte Ebba. »Ja, was ist in alten Zeiten nicht alles vorgekommen! Ich habe nicht die Prätension, mich auf Geschichte hin auszuspielen, das überlaß ich andern, und auf alte Geschichte nun schon gewiß nicht; aber man braucht nur

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