Unwiederbringlich
Arre-Sees, blinkend und blitzend, soweit das Eis ging, und dann bläulich zitternd, wo der See, noch eisfrei, dem Meere sich zudehnte.
Schleppegrell, als er das Ziel vor Augen hatte, schwenkte triumphierend den Pikenstock, und das ohnehin schon rasche Tempo womöglich noch beschleunigend, war er in kürzester Frist bis an das Gasthaus heran, auf dessen vorgebauter Treppe Pentz und die Schimmelmann und mit ihnen auch die kleine Pastorsfrau schon standen und die Herankommenden mit Tücherwehen begrüßten. Nur Erichsen, eine Schachtel Cachou in Händen, war, wie sich später ergab, in der Gaststube zurückgeblieben. Holk, die eine Hand auf die Rücklehne des Schlittens gelegt, lüpfte mit der andern den Hut, und im nächsten Augenblicke schon hielt er an einem kleinen Wassersteg, dessen Bretterlage bis zu dem Gasthause hinauf sich fortsetzte. Pentz, mittlerweile herangekommen, bot der Prinzessin seinen Arm, um sie, während Schleppegrell und die beiden Kapitäne folgten, die Düne hinaufzuführen, und nur Holk und Ebba standen noch an dem Wassersteg und sahen erst den Voraufgehenden nach und dann einander an. In Holks Blick lag etwas wie von Eifersucht, und als Ebbas Auge mit einem halb spöttischen »Ein jeder ist seines Glückes Schmied« darauf zu antworten schien, ergriff er ungestüm ihre Hand und wies nach Westen zu, weit hinaus, wo die Sonne sich neigte. Sie nickte zustimmend und beinah übermütig, und nun flogen sie, wie wenn die Verwunderung der Zurückbleibenden ihnen nur noch ein Sporn mehr sei, der Stelle zu, wo sich der eisblinkende, mit seinen Ufern immer mehr zurücktretende Wasserarm in der weiten Fläche des Arre-Sees verlor. Immer näher rückten sie der Gefahr, und jetzt schien es in der Tat, als ob beide, quer über den nur noch wenig hundert Schritte breiten Eisgürtel hinweg, in den offnen See hinauswollten; ihre Blicke suchten einander und schienen zu fragen: »Soll es so sein?« Und die Antwort war zum mindesten keine Verneinung. Aber im selben Augenblicke, wo sie die durch eine Reihe kleiner Kiefern als letzte Sicherheitsgrenze bezeichnete Linie passieren wollten, bog Holk mit rascher Wendung rechts und riß auch Ebba mit sich herum.
»Hier ist die Grenze, Ebba. Wollen wir drüber hinaus?« Ebba stieß den Schlittschuh ins Eis und sagte: »Wer an zurück
denkt
, der
will
zurück. Und ich bin's zufrieden. Erichsen und die Schimmelmann werden uns ohnehin erwarten – die Prinzessin vielleicht nicht.«
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Eine Stunde nach Sonnenuntergang, als, um Pentz zu zitieren, Holk und Ebba von ihrer »Eismeer-Expedition wieder in gesicherte Verhältnisse zurückgekehrt waren«, trat man in einem geschützten und mit Decken wohlversehenen Char-à-banc, der Platz für alle hatte, den Heimweg nach Frederiksborg an. Unterwegs wurde der »romantischen Eskapade«, trotz der Gegenwart der beiden Flüchtlinge, mit sichtlicher Vorliebe gedacht, und der Ton, in dem es geschah, ließ keinen Zweifel darüber, daß man alles als etwas vergleichsweise Harmloses, als einen bloßen Übermutsstreich ansah, zu dem Ebba den armen Holk gedrängt habe, der nun, wohl oder übel, habe nachgeben müssen. In diesem Sinne sprachen die meisten, und nur die Prinzessin konnte sich, ganz gegen ihre Gewohnheit, nicht entschließen, in den heitren Ton mit einzustimmen, schwieg vielmehr, was, wenn auch sonst niemandem, so doch den beiden Adjutanten auffiel, die sich bei diesem Schweigen einiger schon vorher von seiten der Prinzessin gemachter, halb ängstlicher, halb mißbilligender Bemerkungen erinnern mochten. »Ebba liebt mit der Gefahr zu spielen«, so hatte das Gespräch drinnen im Gasthause begonnen, »und sie darf es auch, weil sie ein Talent hat, ihren Kopf klug aus der Schlinge zu ziehen. Sie wird wohl für alle Fälle einen Rettungsgürtel unter der Pelzjacke tragen. Aber nicht jeder ist so klug und so vorsichtig und am wenigsten unser guter Holk.« Dies alles war am Kaffeetische so halb scherzhaft hingesagt worden, während Holk und Ebba noch draußen waren; aber hinter dem Scherze hatte sich offenbar ein Ernst versteckt.
Gegen sechs war man im Schlosse zurück, und als man sich gleich darauf von der Prinzessin, die noch immer die Abende allein zuzubringen liebte, getrennt hatte, nahm man auch untereinander Abschied, aber allerdings unter dem gleichzeitigen Zuruf: »Auf Wiedersehen heut abend.«
»Und in welchem Turm?« fragten die beiden Kapitäne, die, Dienstes halber, während der
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