Unzaehmbares Verlangen
wenigstens Gelegenheit abzuschätzen, was mit dieser Miß Letitia Thornquist auf ihn zukommen würde. »In Ordnung. Vielen Dank«, erwiderte Joel.
Letitia runzelte nachdenklich die Stirn. »Sie sind der Geschäftsführer meines Onkels?« fragte sie.
»Richtig.«
Mißbilligend ließ sie ihren Blick über Joels schwarze
Windjacke, die Jeans, die Sportschuhe und wieder hinauf zum Hemdkragen wandern.
»Waren Sie in Eile, Mr. Blackstone?« erkundigte sie sich dann höflich.
»Nein.« Er lächelte schwach. »Ich habe mich für Charlie so angezogen. In den zehn Jahren, die ich für ihn tätig war, habe ich ihn nie mit einer Krawatte gesehen.«
Morgan lachte. »Gute Entscheidung. Charlie hat uns immer vorgeschwärmt, wie nützlich Sie für ihn waren. Er behauptete, daß nur Sie es ihm ermöglichten, die letzten Jahre seiner Angelleidenschaft nachzugehen.«
»Ich habe mein Bestes getan, um ihm die Alltagsprobleme von Thornquist Gear abzunehmen«, murmelte Joel.
»Das weiß ich. Ich bin sicher, Sie und Letty werden gut Zusammenarbeiten«, erklärte Morgan. »Natürlich habt Ihr eine Menge miteinander zu besprechen.«
»Dad, bitte«, wehrte Letty ab. »Das ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort, um über Geschäfte zu reden.«
»Unsinn«, entgegnete Morgan. »Onkel Charlie hätte nicht gewollt, daß wir jetzt rührselig werden. Du und Joe, ihr braucht Gelegenheit, um euch kennenzulernen. Je eher, desto besser. Letty, warum fährst du nicht bei Joel im Auto mit? Du kannst ihm den Weg zur Hütte zeigen, und ihr beide könnt euch richtig miteinander bekanntmachen.«
Joel bemerkte, daß Letty zögerte und beschloß, daß es am besten wäre, wenn er gleich von Anfang an seinem neuen Boß alle wichtigen Entscheidungen abnehmen würde.
»Gute Idee«, sagte er leichthin. Mit festem Griff nahm er Lettys Arm und führte sie die Kirchentreppe hinunter. »Mein Jeep steht direkt vor er Tür.«
»Nun...«, Letty warf erst ihrem Vater und dann Joel einen raschen Blick zu. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht...«
»Ganz im Gegenteil.«
Joel hatte gehofft, daß Letty sich durch seine eigene Entschlossenheit beeinflussen lassen würde. Tatsächlich klemmte sie ihre Tasche unter den Arm und ließ sich von Joel mitziehen.
Na bitte, dachte Joel. Es würde so leicht werden wie ei-
nem kleinen Kind den Lutscher wegzunehmen. Auch Charlie hatte ihm keine großen Schwierigkeiten bereitet.
Nur jetzt, am Ende seines Lebens, hatte der gute alte Charlie ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.
»Au, mein Arm«, beschwerte sich Letty. »Sie tun mir weh.«
»Entschuldigung.« Joel bemühte sich, seinen Griff zu lockern.
Charlie, du Mistkerl, wie konntest du mir das nur antun?
Letty fühlte sich unbehaglich, als Joel den Jeep durch den kleinen Ort in den Bergen steuerte und dann auf die Landstraße einbog, die an dem schmalen Flußbett entlangführte. Sie umklammerte ihre Handtasche und warf ihrem Geschäftsführer von der Seite einen raschen Blick zu. Die Spannung, die von Joel Blackstone ausging, überraschte sie.
Natürlich war eine Beerdigung ein gefühlsbeladenes Ereignis, aber hier ging es um etwas anderes als die Trauer um den Boß. Joel Blackstone war rastlos und ungeduldig -das sah sie an dem Ausdruck in seinen goldbraunen Augen. Jeder Muskel seines schlanken Körpers schien angespannt.
Letty ließ sich nicht dadurch täuschen, daß er seine Gefühle geschickt verbarg und äußerlich einen ruhigen, selbstbeherrschten Eindruck machte. Sie spürte, daß er wütend war. Unwillkürlich schauderte sie.
Wütende Männer waren gefährlich.
Dieser Eindruck wurde durch Joels kantige Gesichtszüge noch verstärkt. Er hat ein wildes Gesicht, dachte Letty. Ein Gesicht, das die uralten Jagdinstinkte verriet, die jeder zivilisierte Mann in der heutigen Zeit eigentlich längst hätte ablegen sollen. Bei Joel Blackstone war das offensichtlich nicht der Fall. Letty schätzte ihn auf sechsunddreißig oder, siebenunddreißig, aber irgend etwas an ihm ließ ihn älter erscheinen.
Letty war hin- und hergerissen zwischen kaum bezähmbarer Neugier und dem Gefühl einer ebenso starken Vor-sicht. Sie war noch nie einem Mann begegnet, der so großen Argwohn bei ihr ausgelöst hatte. Es war eine Empfindung, die sie sich selbst nicht erklären konnte.
»Wie lange haben Sie für meinen Großonkel gearbeitet, Mr. Blackstone?« fragte sie schließlich höflich, um das bedrückende Schweigen zu beenden.
»Knapp zehn Jahre.«
»Aha.« Letty
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