Unzaehmbares Verlangen
Hör zu, Letty, ich sage es dir zum letzten Mal: Diana Copeland Escott interessiert mich nicht mehr. Verstanden?«
»Wenn du das sagst«, erwiderte Letty zögernd.
Joel runzelte die Stirn und fuhr schweigend weiter. Im Geiste legte er sich zurecht, was er Letty alles sagen wollte. Plötzlich stellte er überrascht fest, daß er unbewußt in den Weg eingebogen war, der zu der alten Scheune führte. Er nahm den Fuß vom Gaspedal.
»Warum halten wir?« fragte Letty leise.
»Ich weiß selbst nicht. Früher bin ich oft hierhergekommen.« Joel stellte den Motor ab, stützte die Arme auf das Lenkrad und starrte durch den strömenden Regen auf das baufällige Gebäude. »Hier störte mich niemand. Die Scheune stand schon damals einige Jahre leer. Erstaunlich, daß sie noch nicht abgerissen wurde.«
»Du kamst also hierher, wenn du allein sein wolltest?«
»Ja.«
Letty lächelte. »Ich hatte auch einen besonderen Ort, an den ich mich zurückziehen konnte. Es war nur ein kleiner Schuppen in unserem Garten. Ich bin sicher, Mom und Dad wußten genau, wohin ich von Zeit zu Zeit ver-schwand, aber sie sprachen mich nie darauf an oder störten mich dort.«
»Es scheint, als hätten wir doch einiges gemeinsam«, sagte Joel.
»Vielleicht.« Letty öffnete den Sicherheitsgurt. »Komm, wir sehen uns an, was in all den Jahren aus deiner Scheune geworden ist.«
Erinnerungen schossen Joel durch den Kopf. Dianas Schreie. Copelands wütendes Gesicht. Das Krachen des Holzprügels.
»Warte, Letty.« Joel streckte die Hand aus, aber es war zu spät. Letty war bereits aus dem Jeep geklettert und öffnete den Regenschirm.
Zögernd stieg Joel aus und blieb neben dem Wagen stehen. Letty kam rasch zu ihm herüber und hielt den Schirm über seinen Kopf.
»Hast du keinen Hut?«
»Nein, es geht schon.«
Langsam ging er auf das halbverfallene Gebäude zu. Es hatte sich in den letzten fünfzehn Jahren kaum verändert. An den Mauern wucherte Unkraut, einige Fenster waren zerbrochen, und die Tür hing schief in den Angeln, aber das verwitterte Dach hielt immer noch dem Regen stand.
Joel sah sich aufmerksam in der düsteren Scheune um und entdeckte einige verrostete Landwirtschaftsmaschinen und leere Futtertröge. Instinktiv ging er zu den Pferdeboxen hinüber. Die Tür quietschte laut, als er sie aufstieß. Dieses Geräusch hatte ihm vor fünfzehn Jahren das Leben gerettet. Er hatte sich gerade noch rechtzeitig zur Seite werfen können, um dem Schlag mit dem Holzprügel auszuweichen.
»Da liegen sogar noch alte Pferdedecken«, sagte Letty mit einem Blick über seine Schulter.
Joel starrte auf die Decken. Hier war er in jener Nacht mit Diana gelegen. Nichts hatte sich verändert. Sein Magen krampfte sich zusammen.
Er hätte nicht hierherkommen dürfen. Nicht mit Letty.
»Laß uns gehen.« Rasch griff er nach Lettys Handgelenk und wollte sie zur Tür ziehen.
»Warte, Joel. Ich möchte mich noch ein wenig umsehen.«
»Aber ich nicht.«
Letty sah ihn mit großen Augen überrascht an. »Was ist denn los mit dir, Joel?«
»Nichts.« Er versuchte verzweifelt, seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Schließlich konnte er Letty nicht sagen, daß er mit Diana hier gewesen war, als Victor Copeland sie überraschte. Er wollte auch nicht darüber sprechen, daß die Erinnerungen daran ihm beinahe den Atem nahmen. Warum, zum Teufel, war er nur hierhergekommen?«
Letty musterte ihn aufmerksam. »Ich glaube, du solltest mir endlich von Copeland und deinem Vater erzählen.«
»Ja, du hast recht. Wahrscheinlich denkst du, ich wäre verrückt. Ich habe keine Beweise oder Zeugen. Nur mein Instinkt sagt mir, daß an der Sache etwas faul war.«
Letty legte sanft ihre Hand auf seinen Arm. »Erzähl mir alles. Von Anfang an.«
»Das meiste weißt du bereits. Ich traf mich mit Diana Copeland. Ihr Vater durfte davon nichts wissen. Diana sagte, wir sollten noch warten. Wir wußten beide, daß er von unseren Heiratsplänen nichts hielt, und allmählich wurde ich ungeduldig. Ich erklärte Diana, ich würde selbst mit ihm sprechen, wenn sie es nicht bald täte. Da fing sie an zu toben.«
»Sie tobte?« fragte Letty stirnrunzelnd.
»Ja. Sie schrie und weinte. Ich mußte ihr versprechen, nicht mit ihrem Vater zu reden, bevor sie im Herbst wieder auf dem College wäre. Damals begriff ich nicht, warum ich solange warten sollte; heute denke ich, es war nur eine Verzögerungstaktik. Verdammt, ich wollte ihr helfen, sich von ihrem Vater zu lösen. Sie
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