Unzertrennlich
musst du da eine Jeans und einen grauen Rollkragenpullover anziehen?«
»Erstens ist mir kalt, zweitens ist der Pulli neu und war teuer, drittens gehen wir nur zum Italiener und viertens verstehe ich nicht, warum du dich so in Schale geschmissen hast. Aber wenn es dich beruhigt, ziehe ich eine Bluse an und friere mir den Arsch ab.«
Dorothea verdrehte die Augen. »Also, erstens ist es hier kalt, weil du alle Fenster aufgerissen hast, zweitens sieht man nicht, dass der Pullover neu ist, weil er genauso aussieht wie die anderen drei, die du schon besitzt, drittens haben wir eine kleine Änderung des Plans, was den Italiener angeht, und viertens habe ich mich in Schale geschmissen, weil du Geburtstag hast, Schätzchen.«
Christine starrte Dorothea an. »Was heißt hier Änderung des Plans?«
Dorothea fuhr sich vor dem großen Spiegel durch die dunklen Locken.
»Das heißt, wir gehen
nicht
zum Italiener. Jetzt reg dich nicht gleich auf und entspann dich.«
Sie beobachtete Christine im Spiegel, die etwas fassungslos wirkte. Es war zu befürchten, dass sie sich doch aufregte. Was dann auch geschah.
»Bist du irre? Ich habe den Tisch reserviert, das Essen bestellt, die anderen kommen um acht, soll ich das jetzt abblasen? Spinnst du?«
Dorothea betrachtete sich ungerührt im Spiegel und wischte sich etwas Wimperntusche aus dem Augenwinkel.
»Nun«, sagte sie, »und ich habe den Tisch wieder abbestellt und mir was Schöneres für deinen Geburtstag überlegt. Also, zieh dir jetzt was Schickeres an und komm. Ich fahre.«
Christine suchte nach Worten. Sie konnte Geburtstage nicht leiden, sie hasste Überraschungen und geänderte Pläne sowieso. All das wusste Dorothea. Und trotzdem hatte sie jetzt so eine Schnapsidee. Christine zwang sich, nicht die Nerven zu verlieren. Sie holte tief Luft.
»Also gut, ich ziehe mir eine Bluse an. Aber du weißt, dass ich so was blöd finde.«
Sie verschwand im Schlafzimmer. Dorothea sah ihr hinterher. Ein leichter Anflug von Zweifel beschlich sie. Das wird lustig, sagte sie sich.
Zehn Minuten später saßen sie in Dorotheas Mini. Christine hatte lediglich den Pullover gegen eine schwarze Bluse getauscht, über der sie einen schwarzen Blazer trug. Sie hatte Dorothea natürlich gelöchert, wohin sie fuhr, was das alles sollte, ob sie die anderen auch alle erreicht hatte.
Dorothea hatte nur lächelnd abgewunken.
»Warte einfach ab. Es wird bestimmt schön. Ewig dieser Italiener, das ist doch langweilig.«
Christine konzentrierte sich auf die Straßenschilder und versuchte herauszufinden, wo Dorothea hinwollte. Nach einer Weile gab sie es auf. In ihrem Kopf tobten die Gedanken. Plötzlich blitzten Bilder von irgendwelchen grässlichen Männerstripshows in ihr auf, diese Form von Frauenbelustigung, die mit Vorliebe am Vorabend von Hochzeiten besucht wurde. Aber sie würde am nächsten Tag nicht heiraten, sie wurde heute 44, das konnte doch kein Anlass sein. Oder etwa doch? Bitte nicht.
»Sag mal, wir fahren doch wohl nicht zu so einer lustigen Mädchenveranstaltung mit den California Dreamboys oder ähnlichem?«
Dorothea sah sie erstaunt an und lachte laut auf.
»Ach Gott, wären das deine Phantasien gewesen? Na, da hättest du doch nur etwas sagen müssen, das hätte ich organisiert.« Sie lachte weiter. »Schade, das kam jetzt zu spät.«
Christine war erleichtert und hakte nach: »Komm, Dorothea, mach doch mal eine Andeutung.«
»Nein, wir sind gleich da. Und es ist überhaupt nichts Schlimmes. Im Gegenteil. Sei ganz beruhigt.«
Das Wort Überraschung stand fett und kursiv gedruckt vor Christines Augen. Dorothea arbeitete beim Fernsehen. Ein Gedanke fuhr ihr plötzlich durch den Kopf. Und ein Name: Kai Pflaume. Einer der Gutmenschen, der zerstrittene Liebespaare und verloren geglaubte Freunde wieder zusammenbrachte. Vor Millionen von Zuschauern. Um Himmels willen. In Zeitlupe zogen die Gesichter ihrer Exfreunde vor Christines geistigem Auge vorüber. Bernd, ihr Exmann vorneweg, dicht gefolgt von Holger, Denis und, oh Gott, Michael. Eine grauenvolle Vorstellung. Christine schüttelte sich und sah Dorothea von der Seite an. Das würde sie nicht tun, niemals. Hoffentlich. Sie schluckte, traute sich aber nicht zu fragen.
Dorothea bog in Richtung Hafencity ab. Christine atmete durch. Es war eine ihrer Lieblingsecken in Hamburg. In den letzten Jahren hatte hier eine Vielzahl von schönen Restaurants und Clubs aufgemacht. Vielleicht hatte Dorothea wirklich nur ein anderes
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