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Unzertrennlich

Unzertrennlich

Titel: Unzertrennlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dora Heldt
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ein. Lass uns das Thema wechseln. Sind unsere beiden Tänzerinnen denn noch da?«
    Sie ließ ihren Blick über den Strand wandern. Richard sah Christine nachdenklich an.
    Es tat ihm leid, dass Antje ihr noch so zu schaffen machte. Er hätte ihr gern geholfen.
    »Sie sind weg. Ich sehe sie nicht mehr.«
    Christine beugte sich zu Richard und küsste ihn. »Ich fand die beiden süß, hoffentlich haben sie den Jive hinbekommen.«
    Sie sah aufs Meer, dann griff sie nach ihrem Glas und trank ihren restlichen Champagner aus.
    »Richard, wie findest du eine Kolumne zu dem Thema ›Tanzstunde‹?«
    »Wenn ich nicht mit dir üben muss, sehr gut. Ich bin nämlich ein miserabler Tänzer, meine Tanzstunde war eine einzige Demütigung. Ich bin während der Polonaise gestürzt.«
    Christine lachte und strich ihm über die Wange.
    »Das kenne ich. Trinken wir noch einen Champagner? Ich bin übrigens froh, dass wir beide hier sitzen.«
    Richard küsste ihre Hand. Seine Augen lächelten.
     

Tanzstunde
    Ich habe am Strand von Sylt zwei Mädchen tanzen sehen.
    Es war ein knallromantischer Abend mit lauer Luft und schönem Licht, eine perfekte Kulisse für große Liebesgeschichten, Sonnenuntergänge und Neuanfänge. Ich fühlte mich schön, aufregend und jung. Es war perfekt.
    Und dann sah ich unten am Strand zwei Mädchen tanzen, genau gesagt, ich sah, wie sie übten. Hinter ihnen ging die Sonne unter und sie hielten sich an den Händen, zählten sich den Takt vor und sahen dabei sehr jung und verletzlich aus. Ich sah ihnen eine Weile zu und dachte darüber nach, dass dreißig Jahre doch eine lange Zeit sind.
    1974 war das Jahr, in dem ich zwei große Schritte zum Erwachsenwerden machen sollte. Ich hatte Konfirmandenunterricht und im Oktober begann der Anfängerkurs in der Tanzschule Möller.
    Meine Eltern fanden das gut, sie waren der Meinung, ohne Kenntnisse der Standardtänze käme man nicht durchs Leben und ich würde zudem Manieren und ein wenig Weiblichkeit lernen.
    Einige Wochen zuvor hatten sie mich das erste Mal beim Rauchen erwischt. Sie befürchteten, ich liefe ihnen aus dem Ruder. Dabei hatte ich nur ein Problem. Ich war in der Pubertät. Jeder kann sich erinnern, was das heißt. Rasche Wechsel von Euphorie und Depression, ständig lebte man zwischen Lachkrampf und Tränenausbruch. Außerdem, und darum ging es hauptsächlich, hatte ich mich verliebt. Während der Fußballweltmeisterschaft, die in Deutschland stattfand. Es war ein schleichender Prozess, der am Tag des Finales seinen Höhepunkt fand. Es war der 7.Juli, Deutschland spielte gegen Holland und gewann 2:1.
    Der Mann meines Begehrens war Johan Cruyff, der Kapitän der Holländer. Er hatte so traurige Augen, auch schon vor der Niederlage, ich fand ihn wundervoll und wollte ihn retten. Im ›Kicker‹ meines Bruders hatte ich gelesen, dass Johan Cruyff manchmal rauchte, allein deshalb musste ich es mir angewöhnen. Meine Eltern hätten es nie begriffen, ich brauchte es ihnen gar nicht zu erklären.
    Nach dem Spiel bekam ich einen Weinkrampf. Meine Eltern schoben es auf die Pubertät. Ich weinte um Johan.
    Ich beklebte die Wände meines Zimmers mit Fotos und Postern der holländischen Nationalmannschaft, was mich in der Achtung meines Bruders steigen ließ, meine Eltern aber im höchsten Maß irritierte. Wenn es wenigstens ABBA gewesen wäre oder Chris Roberts. Und dann noch die Sache mit dem Rauchen.
    Als der Anmeldebogen der Tanzschule Möller kam, erschien es meinen Eltern wie ein Wink des Himmels. Unter anderen Umständen hätten sie vielleicht überlegt, so wurde ich sofort angemeldet. Sie hofften, ich würde mit Möllers Hilfe wieder normal.
    Mir war es egal, die meisten Mädchen und Jungen aus meiner Klasse gingen ebenfalls hin, wenn ich nicht bei Johan Cruyff sein konnte, konnte ich auch tanzen lernen.
    Meine Vorstellung von Tanzveranstaltungen und Bällen war geprägt von Filmen wie ›Sissi‹ und ›Vom Winde verweht‹.
    Schöne Frauen mit großen Männern, Röcke, die mit Schwung über die Tanzfläche kreisten, große Orchester, viele Streicher, Samt und Seide, Kerzen und Champagner, verzauberte Gesichter, verliebte Blicke.
    Die Wahrheit der Tanzschule Möller sah ganz anders aus. Plastikstühle, die an der Wand aufgereiht waren, Neonröhren an der Decke, ein Getränkeautomat in der einen Ecke, die Musikanlage in der anderen, kichernde Mädchen in gebügelten Jeans und pickelige Jungen, die, und das war das Schlimmste, fast alle kleiner waren als

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