Unzertrennlich
ich.
Statt mit dem heldenhaften Johan Cruyff im rauschenden Ballkleid über die Tanzfläche zu fliegen, übte ich mit einem Wolfgang steifbeinig den Grundschritt des Foxtrotts. Wolfgang war zweimal sitzengeblieben, deshalb auch älter und größer als die anderen. Er hatte eine Frisur wie Mireille Matthieu und eine Brille. Er sprach nicht mit mir, lächelte nicht, bewegte seine Beine nur bis zu den Knien und hatte kein Taktgefühl. Aber er war fünf Zentimeter größer als ich, deshalb wurden wir zum Paar bestimmt. Wir passten in diesen Raum voller Plastikstühle und Neonröhren.
Dazu kam noch ein Mädchen aus meiner Parallelklasse, Annemarie. Jeder kennt eine Annemarie. Sie war mittelgroß, mittelblond, mitteldick, mittelklug. Sie wollte überall dabei sein, sie lud alle Teenies zu ihren Geburtstagen ein, sie brachte tonnenweise Süßigkeiten mit in die Schule, sie hatte die neuesten ›Bravos‹, die besten Bücher, die tollsten Schallplatten. Sie war als Erste in der Eisdiele und hielt einem freudestrahlend einen Platz frei.
Sie ließ einen bei allen Spielen gewinnen, tat einem jeden Gefallen, vergaß auch nie, es zu erwähnen. Sie war die selbsternannte beste Freundin. Ich war zu der Zeit eines ihrer erklärten Lieblingsziele. Egal, wo ich war, Annemarie stand hinter mir und strahlte mich an. Wir nannten sie Sputnik.
Annemarie hatte sich natürlich auch angemeldet, sie beschwerte sich nach der ersten Runde, dass wir Mädchen in der Überzahl waren, es fehlten Jungen. Sie hatte versucht, Wolfgang abzuklatschen, er reagierte nicht, ich begriff nicht, was sie wollte, so entstand ein kleines Gerangel auf der Tanzfläche, das mir wahnsinnig peinlich war. Vermutlich dachten alle, wir hätten uns um diese sitzengebliebene Lusche geprügelt.
Frau Möller ging in den Nebenraum, wo ihr Mann den Fortgeschrittenenkurs unterrichtete. Was sie den Jungs versprochen hat, weiß ich nicht, sie kam jedenfalls mit vier fortgeschrittenen Jungtänzern zurück.
Alle Mädchen waren erleichtert, die vier verbesserten eindeutig den Schnitt. Annemarie beugte sich verschwörerisch zu mir und flüsterte, dass der Zweite von links mich anstarren würde. Als ich unauffällig hinsah, machte mein Herz einen Satz.
Er hatte Augen wie Johan Cruyff. Und er machte den Saal schöner. Aber er starrte mich leider nicht an.
Frau Möller beschloss, dass die Neuankömmlinge auf die Mädchen verteilt wurden, die in der ersten Runde niemanden abbekommen hatten. So bekam Annemarie tatsächlich die Johan-Cruyff-Augen, ich hatte ja Wolfgang. Annemarie erzählte mir brühwarm, dass mein Held Micha hieß und wahnsinnig süß sei. Aber ich hätte ja auch einen Netten abbekommen. Ich hasste sie.
Es waren die schlimmsten Dienstage meines Lebens. Wolfgang kam leider nie über den Grundschritt des Foxtrotts hinaus. Er litt unter einer empfindlichen Nasennebenhöhle, wodurch er beim Tanzen schnorchelnde Geräusche machte. Er erzählte mir, dass er jetzt Nasenspülungen verordnet bekam, deshalb fiel er an einigen Dienstagen aus. An diesen Tagen sollte ich mit anderen Partnern üben, zu meiner Verzweiflung fehlte ausgerechnet dann auch Micha-Johan-Cruyff. Es lief alles schief.
Der Abschlussball im Herbst war ein Desaster. Wolfgang stürzte schon beim Einmarsch und prellte sich die Schulter. Dadurch entging ich zwar der Blamage beim Preistanz, dafür saß ich aber meistens allein am Tisch meiner Eltern und fühlte mich überflüssig.
Fast wäre der Abend doch noch schön geworden. Plötzlich stand Micha-Johan-Cruyff vor mir. Endlich!, dachte ich und stand freudestrahlend auf. Ich sagte ihm, dass ich den Holländern den Sieg gewünscht hätte, er sah mich verständnislos an und meinte: »Hast du einen an der Waffel?«
Er tanzte die Runde zu Ende und vermied dabei meinen Blick. Die Sektbar danach konnte ich mir abschminken.
Während ich dreißig Jahre später den beiden Mädchen am Strand zusah, überlegte ich, ob man heute in der Tanzschule vielleicht gar nicht mehr mit Jungen tanzen müsste. Es ist ja vieles leichter geworden. Wobei Micha-Johan-Cruyff schon gut tanzen konnte. Auch wenn er damals meine sensible Mädchenseele nicht verstanden hat. Aber er war ja auch noch sehr jung.
Juli
Berlin
Der Taxifahrer fand direkt vor dem Haus eine Parklücke. Er schaltete das Licht im Innenraum des Autos ein und drehte sich zu Dani um. »So, da wären wir. Das macht achtzehnfuffzig.«
Dani reichte ihm einen Schein. »Zwanzig, und ich möchte eine
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