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Betonziegeln beschwert, in deren Löchern sich Spinnweben und kleine Pfützen Brackwasser angesammelt haben. Ich stecke die Hand in den ersten Stein und ziehe ihn von der Schürze herunter.
Dann den nächsten. Und den übernächsten.
Jetzt steht der Schornstein ganz allein in der Mitte eines nutzlosen Steinrings aus Betonziegeln.
Mein Stonehenge . Von meinen dreckverschmierten Fingern tropft Jauche. Ich wische mir die Hände am feinen Kies ab und reibe sie an meinen Boxershorts trocken, dann umarme ich den Schornstein und beuge mich vor. Langsam gibt er ein wenig nach und federt zurück. Gleich darauf versetze ich ihm einen festeren Stoß, lege diesmal mein ganzes Körpergewicht hinein, aber er rührt sich nicht 164
von der Stelle. Zu spät bemerke ich, dass ich auf der Schürze stehe und mich selbst zusammen mit dem Schornstein anzuheben versuche.
Also trete ich einen Schritt zurück, beuge mich weit vor und versuche es noch einmal. Es ist schwierig, aber ich mache Fortschritte, biege mich wie ein Zollstock, drücke und hole die Kraft aus den Beinen und Lendenwirbeln. Plötzlich spüre ich, wie mein Kreuzbein knackt. Mir ist klar, dass ich diese Aktion zutiefst bereuen werde, wenn ich mir den Rücken vollends verrenke, aber wenn ich nicht weiter(!) drücke(!), waren alle Mühen für die Katz.
Unversehens gibt der Schornstein nach; gleichzeitig schwingt die Schürze hoch und trifft mich am Knie, so dass ich ebenfalls nach vorn kippe und mir das Kinn an der Kaminhaube aufschlage.
Einen Moment lang bleibe ich wie ein erschöpfter Liebhaber auf dem Schornstein liegen, kann mich nicht rühren und empfinde große Ehrfurcht vor der eigenen Dummheit. Schließlich treibt mich der Geruch von Blut wieder in die Senkrechte. Als ich vorsichtig mein Kinn betaste, spüre ich den ausgezackten Rand eines Schnittes, der von der Kinnspitze über den Kieferknochen bis fast zum Ohr reicht. Der Schnitt ist noch zu frisch, um zu schmerzen, aber er blutet heftig, und mir ist klar, dass er bald teuflisch brennen wird. Ich richte mich auf, knie mich hin und brülle los. Als mein Kinn noch weiter einreißt, brülle ich erst recht.
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Meine Knie und Schienbeine sind von tiefen, parallel verlaufenden Schnitten durchzogen, außerdem mit Dreck und Schotter übersät. Das Aufstehen schmerzt so sehr, dass ich gleich wieder auf die Knie sacke. Als sich weitere Kieselsteine in die Schnitte bohren, heule ich erneut vor Schmerzen auf. Was dazu führt, dass die Wunde in meinem Gesicht noch schlimmer aufreißt und ich noch heftiger brülle. Klebrig vor Blut, lege ich mich schließlich in Embryohaltung auf die Seite, weine leise vor mich hin und suhle mich in Selbstmitleid. Dieses Selbstmitleid empfinde ich nicht nur wegen der Schnitte und Schrammen, wegen des Verrats meiner engsten Freunde oder der zu er-wartenden Bestrafung. Ich weine um mich selbst.
Weine, weil ich nun mal so bin, wie ich bin. Weine, weil ich die Klugheit immer über das eigene Wohlbefinden gestellt habe. Weine bei dem Gedanken, dass ich jetzt jederzeit anders entscheiden würde, hätte ich die Wahl: Ich würde das Glück der Klugheit vorziehen.
Immer bin ich so verdammt schlau gewesen, dass ich mir selbst damit geschadet habe.
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Ich kapier’s einfach nicht«, sagte Fede.
Art versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie genervt er war. »Es ist doch ganz einfach. Es ist wie ein Autoradio oder ein Funkgerät mit einer Vorspultaste. Du fährst auf der I-90 rum und dein Wagen tauscht automatisch Daten mit Fahrzeugen in der unmittelbaren Nähe aus. Er registriert den aktuellen Song, den sich jemand auf seiner Stereoanlage anhört, und lädt ihn als Stream herunter. Du hörst ihn dir an. Wenn du nicht die Vorspultaste drückst, holt sich dein Wagen alles, was er von dem Nachbarfahrzeug laden kann, die gesamte Musik in der Stereoanlage, und spielt sie kontinuierlich ab. Sobald dieser Pool ausgeschöpft ist, fragt er von deinem Peer die Liste seiner Peers ab – die Wagen, von denen er selbst Musik bekommt – und überprüft, ob sich einer davon in Reichweite befindet. Wenn ja, lädt er weitere Daten von dort herunter. Es ist so ähnlich, als würdest du ein Netzwerk des musikalischen Geschmacks durchforsten. Du durchsuchst den Verkehr automatisch und gezielt nach dem Wagen, dessen Besitzer deine Lieblingsmusik gesammelt hat.«
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»Angenommen, ich mag deine Musik nicht und will dein Zeug nicht hören.«
»Auch gut. Dafür ist die Vorspultaste da. Damit
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