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Titel: Upload Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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sie ein Komset aus dem Ausschnitt, und tippte mit einem unsichtbaren Stift darauf herum. Gleich darauf setzte sie sich eine unsichtbare Brille auf die Nase und nickte weise. »Oh ja, stimmt, wirklich interessantes Material.«
    Da mir klar wurde, dass ich mich mit einer Verrückten herumstritt, wandte ich mich an den Arzt.
    »Sie haben doch bestimmt schon etwas über die Stämme gelesen, nicht wahr?«
    Der Arzt verhielt sich so, als hätte er mich nicht gehört. »Das ist wirklich faszinierend, Art. Danke, dass Sie uns davon erzählt haben. Aber jetzt habe ich eine Frage an Sie, über die Sie in Ruhe nach-denken sollten. Vielleicht können Sie uns diese Frage morgen beantworten. Auf welche Weise haben Ihnen Ihre Freunde – die Menschen, von denen Sie behaupten, sie hätten Sie hereingelegt –
    früher gezeigt, dass sie Achtung vor Ihnen haben und Sie mögen? Denken Sie gründlich darüber nach. Ich glaube, Sie werden überrascht sein, zu welchem Schluss Sie kommen.«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Was ich gesagt habe, Art. Denken Sie gründlich über den Umgang nach, den Sie früher mit Ihren beiden Freunden hatten. Dann werden Sie nämlich erkennen, dass Ihre Freunde Sie wirklich mögen.«

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    »Haben Sie denn nicht gehört, was ich Sie gerade eben gefragt habe? Haben Sie schon mal was von den Stämmen gehört?«
    »Selbstverständlich. Aber es geht hier nicht um die Stämme, Art. Es geht hier um Sie«, er warf einen Blick auf sein Komset, »und um Fede und Linda. Sie bedeuten den beiden sehr viel und derzeit machen sie sich große Sorgen um Ihr Wohlbefinden. Denken Sie einfach mal darüber nach. Und jetzt«, er schlug die Beine übereinander, »zu Ihnen, Fatima. Gestern haben Sie uns von Ihrer Mutter erzählt und ich habe Sie gebeten, darüber nachzudenken, was sie empfindet. Können Sie der Gruppe berichten, was Sie herausgefunden haben?«
    Doch Fatima war bereits in ein pharmazeutisches Wunderland abgedriftet, starrte mit gla-sigen Augen ins Leere und ließ den Unterkiefer hängen. Manuel stieß sie zunächst mit den Ze-henspitzen an, aber da sie nicht reagierte, holte er aus, um ihr einen Tritt gegen das Schienbein zu versetzen. Der Arzt fing den Tritt jedoch rechtzeitig ab, indem er Manuels Fuß festhielt. »Schon gut, kommen wir zu Lucy.«
    Ich klinkte mich aus, als Lucy, vom Doktor er-muntert, zu einem ebenso wortreichen wie trivia-lem Bericht über ihre Essgewohnheiten ausholte.
    Erst jetzt erkannte ich das ganze Dilemma dieser Situation. Ich konnte daraus nicht als Sieger her-162
    vorgehen. Falls ich beteuerte, Fede und Linda seien meine Busenfreunde, würde man mich trotzdem für unzurechnungsfähig halten – denn welche zurechnungsfähige Person bedroht schon seine engsten Freunde? Falls ich jedoch an meiner Geschichte festhielt, würde man mich erst recht als unzurechnungsfähig einstufen und so mit Medikamenten vollstopfen, dass der auf die Psyche einwirkende Cocktail mich in einen Zombie verwandeln würde. In einen Zombie wie die arme kleine Fatima.
    Und jetzt sitze ich auf dem Dach fest, wo’s allmählich wirklich ungemütlich wird. Sitze fest, weil ich offiziell als unzurechnungsfähig gelte und mir keine Hoffnungen machen kann, in absehbarer Zeit aus der Klinik entlassen zu werden. Sitze fest, weil jeder weitere Moment, den ich in dieser Klapsmühle verbringe, den Hamstern in meinem Kopf zusätzliche Zeit verschafft, die Tretmühle zu bedienen. Mal gelangen dabei die Selbstvorwürfe wegen meiner Naivität nach oben, mal die Ängste.
    Sobald man mich hier entdeckt, wird man mich mit Medikamenten zudröhnen, verabreicht von strengen, liebevollen und gründlich enttäuschten Ärzten. Es ist mir noch immer nicht gelungen, mir deren Namen zu merken, denn einer ist wie der andere. Sie tragen gutes Schuhwerk und Namensschilder, reden in beruhigendem Ton auf mich ein, geben in keinem Punkt nach und wissen meine 163
    rhetorischen Fähigkeiten überhaupt nicht zu schätzen.
    Ich sitze fest. Die hohen Blechschornsteine auf diesem Dach sind unregelmäßig verteilt. Nach welchem seltsamen Prinzip, könnte man wohl nur mit Hilfe von Bauzeichnungen, Blaupausen, Schaubildern der mechanischen Prozesse und der Architektur feststellen. Doch mit Sicherheit sind sie dazu da, möglichst effizient heiße Luft aus dem riesigen Ziegelklotz abzusaugen und ins Freie zu pumpen.
    Ich gehe zu dem Kamin hinüber, der der Treppe am nächsten ist. Er ist mit Teer verankert; die Schürze ist mit einer Doppelreihe von

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