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Urangst

Urangst

Titel: Urangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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er auch ihre Mutter mit seinem Charme erobert hatte.
    Eines Nachts, als sie im Schlafanzug auf der Bettkante saß, hatte Nickie um ihre Pantoffeln gebeten.
    Mommy, letzte Nacht war ich in dem Traum barfuß. Ich muss im Bett Pantoffeln tragen, damit ich im Traum nicht barfuß durch die Wälder laufe.
    Wenn es nur ein Traumwald ist, warum ist dann der Boden nicht weich?
    Er ist weich, aber kalt.
    Es ist ein winterlicher Wald, stimmt’s?
    Mhm. Mit viel Schnee.
    Dann träum dich doch in einen sommerlichen Wald.
    Es war eine Winternacht. In der vorangegangenen Woche war der erste Schnee gefallen, und gerade erst an jenem Nachmittag hatte der Himmel die Küste mit fünf Zentimetern frischem, kaltem Schnee bedeckt.

    Ich mag den Schnee.
    Dann solltest du im Bett vielleicht besser Stiefel tragen.
    Ja, das kann schon sein.
    Und dicke Wollsocken und eine lange Unterhose.
    Mommy, du bist doof.
    Und einen Nerzmantel und eine dicke russische Nerzkappe.
    Das Mädchen hatte gekichert, war aber gleich darauf wieder ernst geworden. Ich mag den Traum nicht, aber am meisten stört mich daran, dass ich barfuß bin.
    Amy hatte ein Paar Pantoffeln aus dem Schrank geholt und sie unter Nickies Kopfkissen gelegt.
    So. Wenn du jetzt von den Wäldern träumst und wieder barfuß bist, dann greifst du einfach unter dein Kissen und ziehst im Schlaf die Pantoffeln an.
    Sie hatte ihre Tochter gut zugedeckt, bevor sie ihr eine gute Nacht wünschte. Sie hatte Nickie das Haar aus dem Gesicht gestrichen und ihr einen Kuss auf die Stirn, auf die linke Backe und dann auf die rechte Backe gedrückt, damit ihr Kopf durch einseitige Küsse nicht aus dem Gleichgewicht gebracht wurde.
    Dann hatte Amy den ganzen Abend gelesen und sich um halb elf in ihrem eigenen Zimmer ins Bett gelegt.
    Jetzt sagte Brian auf dem Beifahrersitz wahnsinnig zärtlich: »Vielleicht sollte ich besser fahren.«
    Sie hatten die Golden Gate Bridge überquert und fuhren auf dem Highway 101 weiter nach Norden.
    Die klumpige Nebelmasse, die die Brücke einhüllte, war zu dünner Milch verdampft, sowie sie weiter ins Landesinnere gekommen waren.
    »Nein«, sagte Amy. »Es ist besser, wenn ich fahre. Dann habe ich wenigstens etwas, woran ich mich mit den Händen festhalten kann.«

    In jener Winternacht hatte der Wind sie geweckt, nicht mit seinem eigenen Ächzen und Pfeifen, sondern durch die unmelodischen Töne, die er der Sammlung von Klangspielen auf dem Balkon vor ihrem Schlafzimmer entlockte.
    Amy richtete ihren Blick auf ein nach Westen gewandtes Fenster und rechnete fest damit, den Feentanz fallender Schneeflocken durch die Glasscheibe zu sehen, doch sie sah nur Dunkelheit und keinen Schnee.
    Die Klangspiele brachten normalerweise reizvolle Töne hervor, doch diesmal beunruhigte sie ihr misstönendes Klirren. In ihren Jahren hier war das der erste Wind, der kein guter Musiker war.
    Als sie vollständig erwachte, wusste sie instinktiv, dass nicht die Klangspiele sie geweckt hatten, sondern ein anderes Geräusch, das ihren Nerven jetzt übel mitspielte. Sie setzte sich im Bett auf und schlug ihre Decke zurück.
    Ein separates Haus wurde von James und Ellen bewohnt, dem Ehepaar, das sich um das Anwesen kümmerte und dafür sorgte, dass jeder Wunsch seiner Arbeitgeber erfüllt wurde. James war nicht nur ein guter Verwalter, sondern auch ein stämmiger Kerl und sehr zuverlässig.
    In ihrem eigenen Flügel des Haupthauses befanden sich die privaten Räumlichkeiten von Lisbeth, der Haushaltshilfe, und Caroline, dem Kindermädchen.
    Allabendlich wurde eine Alarmanlage zur Bewachung der Grundstücksgrenzen eingeschaltet. Wenn eine Fensterscheibe eingeschlagen oder eine Tür aufgebrochen worden wäre, hätte eine Sirene geschrillt und James Avery wäre angerannt gekommen.
    Dennoch trieb instinktiver Argwohn Amy dazu, neben ihrem Bett stehen zu bleiben.

    Mit erhobenem Kopf lauschte sie angestrengt und wünschte, der Wind würde eine Pause einlegen und die Klangspiele verstummen lassen.
    Ihre Nachttischlampe hatte einen Schalter mit Dimmer. Sie tastete danach und drehte behutsam daran, bis ein ganz schwacher Lichtschein das Zimmer erhellte.
    Wenige Wochen zuvor hatte sie etwas getan, das ihr zu dem Zeitpunkt impulsiv, übertrieben und sogar töricht vorgekommen war. Da in der letzten Zeit etliche Geschichten über grausige Morde durch die Nachrichten gegangen waren, hatte sie eine Pistole gekauft und drei Unterrichtsstunden genommen, um sich in ihrem Gebrauch unterweisen zu lassen.
    Nein.

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