Urangst

Glänzt in der Hand tut Piggy Das Schlimmste Was Sie Tun Kann.
    In Wirklichkeit ist es etwas Gutes. Wenn sie es tut, fühlt sie sich nicht mehr so allein. Dann denkt sie an Bär, wie er nicht in Flammen steht und kein Messer in sich stecken hat, einfach nur an Bär, der lächelt.
    Bär nennt es Das Schlimmste Was Sie Tun Kann, weil Mutter furchtbar garstig werden wird, vielleicht sogar noch furchtbarer als furchtbar, wenn sie Piggy dabei ertappt, dass sie es tut.
    Als Das Schlimmste Was Sie Tun Kann getan ist und sie Das Was Ewig Glänzt weggepackt hat, wäscht Piggy sich und zieht sich an. Sie ist zu allem bereit.
    Bär sagt, wenn du Hoffnung hast, HOPE, dann bist du zu allem bereit.
    Sie isst zerbrochene Kekse von gestern. Sie hebt immer dann, wenn es möglich ist, Essen auf. Denn Essen kommt nicht immer dann, wenn man es will.
    Sie denkt an das, was Bär in ihrem Traum gesagt hat. Lauf, Piggy, lauf!
    Er meint nicht in ihrem Traum, sondern jetzt. Bär warnt sie.
    Sie erinnert sich an das, was sie letzte Nacht in Mutters Augen gelesen hat, Mutter mit einem Messer wie dem Bär-Messer, und ihre Augen so garstig.
    Lauf, Piggy, lauf!
    Wenn Piggy ihre Fußsohlen anschaut, kann sie sehen, was passiert, wenn man versucht fortzulaufen. Das ist lange her. Aber die Male sind noch da, man kann sie sehen.

    Wenn du versuchst fortzulaufen, wird sie dir wehtun. Du hörst ein Klicken und dann tut es weh.
    Mutters Daumen knipst das Feuer an. Dann geht es aus. Dann an. Wenn du versuchst fortzulaufen.
    Piggy setzt sich an ihren Schreibtisch und zieht eine Schachtel aus einer Schublade.
    In der Schachtel sind Bilder. Ganz viele. Sie sind alle gleich und doch verschieden.
    Sie hat lange gebraucht, um sie aus Zeitschriften auszuschneiden, nicht all die Tage, die es jemals geben wird, und dann nochmal so viele, aber doch lange Zeit.
    Sie wird sie auf eine Weise zusammenkleben, die ihr guttut. Sie hat sie aufgehoben, sie aus ganz vielen Zeitschriften aufgehoben. Jetzt hat sie genug. Sie kann beginnen.
    Beim Anblick der Bilder lächelt sie. Sie sind so hübsch. Ganz viele. Sie stehen und sitzen, rennen und springen. Hunde. Lauter Hunde.

57
    Eine unermessliche Armee, ganz in Weiß, marschierte im Westen auf, wälzte sich lautlos in östliche Richtung voran und eroberte die grandiose Brücke ohne einen Ruf oder einen Schuss.
    Golden Gate war nicht der Name der Brücke, sondern der Name der Meerenge, die den Pazifik mit der Bucht verbindet, und die Brücke war orange.
    Die Pfeiler, die Träger, die Kabelstränge und die Türme begannen im Nebel zu verschwinden.
    Als Amy in Richtung Marin County nach Norden fuhr, gab es Momente, in denen sie mit Ausnahme von vertikalen Kabeln nichts von der Konstruktion sehen konnte, die sie umgab, und daher schien es, als sei die Brücke an nichts anderem als Wolken aufgehängt und als befördere sie Reisende aus der weißen Leere des Lebens, das sie geführt hatten, in das geheimnisvolle Weiß jenseits des Todes.
    »Damals«, sagte Amy, die von den Jahren ihrer Ehe mit Michael Cogland sprach, »konnte ich, obwohl ich zum Glauben erzogen worden war, noch nicht sehen . Das Leben war intensiv und seltsam und zeitweilig heftig bewegt, aber die Ereignisse überstürzten sich, und ich habe keine Muster wahrgenommen. Ein wunderbarer Hund namens Nickie war zu mir gekommen, als ich ein kleines Mädchen war … und jetzt gab es dieses kleine Mädchen in meinem Leben, das mittlerweile Nickie genannt wurde, und ich fand das amüsant und nett, aber ich habe mir nichts weiter dabei gedacht. «

    Als ihr Ehemann sich immer mehr von ihr zurückzog und Amy und er sich zusehends auseinanderlebten, begann Michael häufiger Reisen zu unternehmen und sich über längere Zeiträume an fernen Orten aufzuhalten, manchmal in Europa, Asien oder Südamerika, angeblich auf Geschäftsreise, aber vielleicht auch in Begleitung anderer Frauen.
    Ihre Tochter Nicole, ihre zweite Nickie, hatte im Alter von fünf Jahren plötzlich Alpträume. Sie waren alle gleich. Im Schlaf wanderte sie durch eine verschneite Nacht und irrte durch dunkle Wälder, allein und furchtsam.
    Die Wälder in Nickies Traum waren die Wälder hinter dem Haus, Dickichte aus verschiedenen immergrünen Bäumen, über die der helle Strahl des Leuchtturms nicht glitt.
    Amy hatte den Verdacht, Nickies Träume seien eine Folge davon, dass ihr Vater sie so gut wie ganz im Stich gelassen hatte, nachdem er sie anfangs mit seinem Charme bezaubert und ihr Herz erobert hatte, wie