Urangst
begonnen. Er war ein vielbeschäftigter Mann mit zahlreichen untergeordneten Handlangern, und obwohl er ihnen größtenteils indirekt und aus der Ferne Befehle erteilte, konnte er die Suche nicht zu seiner Hauptbeschäftigung machen. Stattdessen machte er sie zu seiner vorrangigen Nebentätigkeit.
Er musste diskret vorgehen. Wenn er gegenüber einer Person, die Zugang zu versiegelten Prozessakten hatte, Interesse an ihrem Schicksal bekundet hätte, wäre er allzu genau überprüft worden.
Lange Zeit waren sowohl seine eigenen Ideen als auch private Ermittler gescheitert. Sie war zu tief in ihr neues Leben eingetaucht.
Erst vor neun Monaten waren ihm das Medaillon, das sie trug, und die rührselige Geschichte wieder eingefallen, die sie ihm über den Hund erzählt hatte, der halbverhungert über eine Wiese gekommen war und sich in die Herzen von Nonnen und Waisenkindern eingeschlichen hatte.
Sie hatte Golden Retriever schon immer enorm bewundert. Sie hatte gesagt, wenn Nicole acht oder neun Jahre alt sei, alt genug, um die Verantwortung für einen Hund zu tragen, würde sie dem Mädchen einen Golden kaufen.
Außerdem hatte sie einem lokalen Verein, der sich der Rettung dieser Hunderasse verschrieben hatte, Geld gespendet – sein Geld. Er hatte die Broschüre dieser Einrichtung gelesen und sich gefragt, warum Leute sich diese Mühe machten. Hunde sind Hunde und Menschen sind Menschen, und sie alle sterben und nichts davon zählt, solange es dich nicht trifft.
Er hatte den Verdacht, sie hätte ihren Vornamen behalten, als sie sich eine neue Identität zugelegt hatte. Das taten
die meisten Menschen, sogar im Zeugenschutzprogramm, wenn sie von der Mafia gejagt wurden.
Außerdem war ihr nach jener Winternacht so gut wie nichts anderes als ihr Name geblieben. Als das bedürftige Waisenkind, das sie ist, würde es ihr gar nicht gefallen, sich sowohl ihres Vornamens als auch ihres Nachnamens berauben zu lassen. Noch mehr als die meisten Menschen hat sie immer etwas aus der Vergangenheit gebraucht, woran sie sich klammern kann.
Das Internet hatte ihn nicht weitergebracht und die privaten Ermittler, die er engagiert hatte, ebenso wenig, aber nur mangels der richtigen Suchbegriffe. Mit den Worten Amy , Hunde , Golden , Retriever und Rettung hatte er einen weiteren Versuch unternommen.
Er hatte mehr als eine Amy unter den Hundeliebhaberinnen ausfindig gemacht, aber keine andere hatte eine Einrichtung zu ihrer Rettung ins Leben gerufen. Kein Foto von ihr zierte die Website, aber je mehr Berichte über die Rettung von Hunden er las, die sie dort veröffentlichte, desto deutlicher erkannte er die Stimme der Frau, die er einst geheiratet hatte.
Einem Ermittler namens Vernon Lesley war es gelungen, ein Foto von ihr zu beschaffen, und diese Fotografie bestätigte ihm, dass es sich bei ihr tatsächlich um die Mutter von Michael Coglands Kind – von Harrows Kind – handelte.
Von dem Moment an hätte er aggressiv gegen sie vorgehen können, aber er wusste nicht, wie sehr sie auf der Hut war. Also ließ er sich Zeit und stellte Nachforschungen an.
Als er herausfand, dass sie eine Beziehung mit McCarthy hatte, bezahlte er Vernon Lesley dafür, dass er die Wohnung des Architekten durchsuchte. Auf diese Weise hatte er von Vanessa erfahren und die E-Mails gelesen, die sie Brian schickte, und diese Frau hatte ihn fasziniert.
Nachdem er sie aufgespürt hatte – unter Einsatz von Quellen, die illegaler waren als alles, was McCarthy zur Verfügung stand –, gesehen hatte, wie sie aussah, und ihr persönlich begegnet war, wusste er, dass sich sein Leben verändert hatte. Eine Zeit lang war es ihm wichtiger gewesen, den Körper, den Geist und das Herz von Moongirl zu erkunden, als die Angelegenheit mit Amy abzuschließen.
Doch jetzt war der Tag gekommen.
59
Im Moment konnte Amy nicht weiterreden, und fahren konnte sie auch nicht. Sie hielt den Wagen auf der Standspur der Schnellstraße an.
Ohne ein weiteres Wort lief sie mitten in eine Wiese aus verkümmertem, gelbem Gras und grauem Unkraut hinein. Der Boden stieg an, aber nur leicht, und weit draußen auf der niedrigen Kuppe warteten keine Eichen, sondern nur noch mehr Gras und Unkraut, das ums Überleben kämpfte. Hinter der Kuppe hing ein aschfahler Himmel, zerfasert und stumpf.
Nachdem sie ein paar Meter gelaufen war, blieb sie stehen und blickte auf ihre Hände, sah die Handflächen und dann die Handrücken und noch einmal die Handflächen an.
Die Erinnerungen waren
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