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Urangst

Urangst

Titel: Urangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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eintönig wie das erste war.
    Sogar in ihrem Äußeren ähnelte Amy Redwing der Person in ihrem früheren Leben. Früher hatte sie kurzes Haar gehabt, jetzt trug sie es lang; früher hatte sie sich geschminkt, jetzt tat sie das nicht mehr; und zu den Zeiten, als die Fotos aufgenommen worden waren, hatte sie sich modischer gekleidet. Aber damit hörten die Unterschiede auch schon auf.
    Sie hatte weiterhin rabenschwarzes Haar, obwohl sie als Blondine vermutlich schärfer ausgesehen hätte. Und nach dem zu urteilen, was Vern von ihr gesehen hatte, hatte sie sich auch keiner Brustvergrößerung unterzogen, was sie vielleicht besser hätte tun sollen.
    Im Gegensatz zu Vernon Lesley mit seinen eins zweiundsiebzig maß Von Longwood beeindruckende eins achtundneunzig. Vern latschte mit hängenden Schultern und Schmerbauch durchs Leben, aber Vons Bizepse konnten es mit denen von Schwarzenegger aufnehmen, als er noch der Star von Actionfilmen war und nicht Gouverneur.
    Von hatte Tattoos, einen Ohrring, an dem ein winziger Totenschädel baumelte, einen muskulösen Brustkorb anstelle männlicher Titten, und er hatte Flügel . Sie waren riesig, zart und gefiedert, aber so kräftig, dass niemand ihn am Boden festhalten konnte, wenn Von fliegen wollte.
    Vernon Lesleys anderes Leben nahm in Second Life Gestalt an, in der virtuellen Welt, die von Avataren wie Von Longwood bevölkert war.

    Manche Menschen verhöhnten diese Form von Rollenspiel, aber das waren Ignoranten. Virtuelle Welten waren fantasievoller als die Realität, exotischer und farbenprächtiger, und durch weitere Details wurden sie von Woche zu Woche überzeugender. Onlinewelten waren die Zukunft.
    Vern hatte mehr Spaß in seinem anderen Leben als in diesem, er hatte mehr und bessere Freunde und denkwürdigere Erlebnisse. Als Von Longwood war er so frei, wie er es als Vernon Lesley niemals sein konnte. In seinem ersten Leben war er nie kreativ gewesen, aber in seinem zweiten Leben hatte er einen Nachtclub entworfen und gebaut, und er hatte sogar eine Insel gekauft und gedachte, sie mit fantastischen Geschöpfen zu bevölkern, die er alle selbst erfinden würde.
    All das, jeder einzelne Moment in dieser Onlinewelt, war um ein Vielfaches besser, als im Schlafzimmer einer Fremden zu hocken und, in der Hoffnung, eine Nacktaufnahme zu entdecken, in Schuhkartons mit langweiligen Fotos zu kramen.
    Aus einer Innentasche seiner Sportjacke zog er einen weißen Plastikmüllsack und faltete ihn auseinander. Er packte sämtliche Fotos und Speicherkarten in den Sack und stellte die leeren Schuhkartons dann wieder ganz hinten in den Wandschrank, genau an die Stelle, an der er sie vorgefunden hatte.
    Soweit er das sagen konnte, bestand der einzige bedeutsame Unterschied zwischen den beiden Leben von Amy Redwing darin, dass sie in diesem Leben Hunde hatte. Auf den Fotos waren nirgends Köter zu sehen gewesen.
    In einem ihrer Nachtkästchen fand er eine Pistole, eine SIG P245, die mit .45 ACPs geladen war. Sie erschien ihm als geeignete Waffe, die eine Frau ohne den Gleichgewichtsvorteil
chirurgisch vergrößerter Brüste blendend handhaben konnte. Er legte die Pistole in die Schublade zurück.
    Es überraschte ihn nicht, eine geladene Pistole zu finden. Heutzutage würde Vern, wenn er eine alleinstehende Frau wäre, mit einer Schrotflinte im Bett schlafen.
    Vom Schlafzimmer aus begab er sich in ihr Arbeitszimmer. Er entdeckte einen kartonierten braunen Umschlag, der an die Unterseite einer Schreibtischschublade geklebt war.
    Behutsam entfernte er das Klebeband, mit dem der Umschlag verschlossen war, und bog die Klammer auf. Seine eigentlich schon versiegte Hoffnung, auf private Nacktaufnahmen zu stoßen, regte sich wieder.
    Stattdessen fand er Dokumente, die sich auf Amys Namensänderung bezogen. Tja, das war eben die reale Welt, und darin sollte man nicht allzu viel Spannendes erwarten.
    In ihrem früheren Leben war sie auch Amy gewesen, aber sie hatte den Nachnamen Cogland gegen Redwing eingetauscht. Das fand Verns Beifall. Redwing war ein cooler Name, sogar gut genug für einen Avatar in Second Life.
    Sie hatte eine neue Sozialversicherungskarte auf diesen Namen ausgestellt bekommen, einen Reisepass und einen Führerschein des Staates Connecticut, den sie zweifellos dazu benutzt hatte, einen kalifornischen Führerschein zu beantragen, nachdem sie ans andere Ende des Landes gezogen war.
    Den Dokumenten lag die Kopie einer richterlichen Anordnung bei, die Prozessakten zu versiegeln

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