Urangst
und wollten ihren Spaß haben. Hugo schloss sich ihnen an. Gemeinsam näherten sie sich den früheren Zuchttieren, tauschten spielerische Verbeugungen mit ihnen aus und spielten Fangen. Renata hatte Zerrspielzeug auf dem Gras verteilt. Diese Spielsachen wurden jetzt ausgelassen mit den Zähnen gepackt und ein Hund forderte den anderen heraus, ihm die Beute wieder abzujagen.
Nickie beteiligte sich nicht gleich an ihren Spielen, sondern beobachtete mit Interesse das Einzige der sechs überlebenden Mädchen, dem es widerstrebte mitzuspielen. Schließlich hob Nickie ein Zerrspielzeug auf, das neben Renata lag, und trottete über den Rasen auf das Mauerblümchen zu.
»Das ist Honey«, sagte Renata und deutete auf die scheueste Hündin der Gruppe.
Honey war vielleicht zweieinhalb Jahre alt gewesen, als sie gerettet worden war. Ihre Krallen waren in der Welpenfabrik nie geschnitten worden, und da sie keinen Auslauf hatte, hatten sie sich auch nicht von selbst abgewetzt, sondern waren in ihre Pfoten eingewachsen. Das war so schlimm gewesen, dass sie kaum noch stehen konnte. Daher war auch die Muskulatur ihrer Läufe verkümmert.
Ihre Pfoten waren mittlerweile verheilt, ihre Muskeln kräftiger, aber obwohl die Vorstellung zu spielen sie sichtlich faszinierte, war sie immer die Letzte, die mitspielte, wenn sie sich überhaupt dazu durchrang.
Nickie blieb vor Honey stehen und schlenkerte das Zerrspielzeug. Als das keinen Reiz auf die scheue Hündin ausübte, schüttelte Nicke das Spielzeug heftig.
»Deine Nickie ist eine Nachtigall«, sagte Renata.
Die meisten Hunde waren feinfühlig und besaßen ein gutes Gespür für Krankheiten und Niedergeschlagenheit bei Menschen und anderen Hunden, aber nur wenige waren fest entschlossen, sich um Bedürftige zu kümmern. Amy nannte sie nach Florence Nightingale Nachtigallen.
»Sie ist etwas ganz Besonderes«, sagte Amy.
»Du hast sie noch nicht mal einen ganzen Tag.«
»Ich hatte sie noch keine Stunde und wusste es schon.«
Es dauerte keine Minute, bis Nickie Honey zum Fangen und dann zum fröhlichen gemeinsamen Herumwälzen verlockt hatte.
Amy war wieder mit dem Fernglas aufgestanden und suchte die Schatten unter den Jacarandas auf der anderen Seite der Landstraße ab.
»Ist er ausgestiegen und steht jetzt an einer Stelle, an der du ihn sehen kannst?«, fragte Renata.
»Nein. Er sitzt immer noch hinter dem Steuer.«
»Vielleicht ist er einer der Mistkerle von einer der Welpenfabriken, deren Betrieb du lahmgelegt hast.«
»Kann sein.«
»Wenn er dieses Grundstück betritt, verpasse ich ihm eine Ladung Vogelschrot.«
»Früher hast du gesagt, wenn einer dieser Mistkerle jemals hier auftaucht, würdest du ihn kastrieren.«
»Der Vogelschrot dient nur dazu, ihn gefügig zu machen. Die Kastration kommt danach.«
18
Das Wohnzimmer brachte nichts ans Licht, was für Vernon Lesley von Interesse war, aber ganz hinten im Wandschrank des Schlafzimmers fand er zwei Schuhkartons mit Fotos.
Sein Klient hatte ihn mit einer Liste von Gegenständen ausgerüstet, die in Verbindung zu Amys anderem Leben standen, die sie aber möglicherweise nicht vernichtet hatte, als sie ihre Vergangenheit abgeworfen, ihren Namen geändert und sich im Süden Kaliforniens niedergelassen hatte. Fotografien standen auf dieser Liste ganz oben.
Die Kartons enthielten vor allem Schnappschüsse und die Speicherkarten von Digitalkameras, von denen einige dieser Abzüge stammten. Die neuesten Aufnahmen waren fast neun Jahre alt.
Vern setzte sich auf die Bettkante und nahm sich geduldig zahlreiche Umschläge mit Fotos vor, um zu sehen, ob sie irgendwelches pornographisches Material enthielten. Sein Klient hatte ihn nicht aufgefordert, eine so gründliche Inspektion vorzunehmen, aber Amy Redwing war nun mal eine attraktive Frau und Vern nun mal neugierig.
Bedauerlicherweise erwies sich nicht ein einziges Bild als erotisch oder auch nur exotisch. Er hatte noch nie eine alltäglichere Sammlung von Schnappschüssen gesehen.
Obwohl er Amys Vorgeschichte nicht kannte, erschien es Vern, als seien ihr derzeitiges und ihr früheres Leben gleichermaßen langweilig.
In Verns anderem Leben als Von Longwood raste er mit einem hundertprozentig auf seine Wünsche zugeschnittenen und entsprechend umgebauten Motorrad, einer richtig schweren Maschine, durch die Gegend, er war Meister im Taekwondo und lebte alles in allem auf großem Fuß. Er verstand nicht, wieso sich jemand ein anderes Leben wünschte, das dann so
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