Urban Gothic (German Edition)
Nagel einen tiefen Riss über seine klumpige Stirn zog. Blut lief ihm in die Augen. Vor Wut kreischend stolperte er umher. Ohne innezuhalten, schlug Javier ein drittes Mal zu. Diesmal traf der Nagel den Zwerg unmittelbar unter dem Kinn. Die Kiefer klackten aufeinander, als sich der Metallstift tief in die Haut bohrte.
Mit einem Aufschrei riss Javier den Nagel heraus, begleitet von einem Teil des Unterkiefers und des Halses des Liliputaners. Die Haut spannte sich und darunter zerrissen Muskeln und Knorpel. Blut schoss aus der klaffenden Wunde. Die Augen des Eindringlings weiteten sich vor Schock. Er ließ das Messer fallen und hob die Hände an die verletzte Kehle. Blut spritzte über seine Fäuste und lief seine stummelartigen Unterarme hinab. Mit einem schrillen Laut kippte er rückwärts, blieb auf dem Boden liegen und gab Würgelaute von sich, während er wie unter Krämpfen zuckte. Aus der Wunde pulsierte weiter Blut.
Heather und Kerri schrien immer noch.
Javier ließ den Knüppel zu Boden fallen. Er wischte sich mit dem Handrücken Schweiß von der Stirn und drehte sich zu den Mädchen um.
»Haltet die Klappe!«
Dann verzog er das Gesicht, bückte sich und packte die Füße des Zwergs. Der Sterbende trug keine Schuhe. Dicke gelbe Schwielen überzogen eine dreckige Sohle. Der andere Fuß erwies sich als grässlich deformiert – eher ein verkümmerter Stumpf als ein vollwertiges Glied. Die Haut fühlte sich rau und schuppig an. Schorf und Insektenstiche bedeckten die Gelenke. Seine Beine zuckten in Javiers Griff. Der Liliputaner gab noch ein letztes gurgelndes Keuchen von sich, dann rührte er sich nicht mehr. Der Gestank seines ungewaschenen Körpers war widerwärtig. Mit abgewandtem Gesicht schleifte Javier die Leiche in den Raum. Er ließ die Beine zu Boden plumpsen und zog die Tür wieder zu – dabei ließ er sie einen Spaltbreit offen, damit ein dünner Lichtstreifen in das Zimmer fiel.
»Schon gut«, flüsterte er den Mädchen zu. »Er ist tot.«
In den Schatten ertönte ein Rascheln, als Heather und Kerri vorwärtsschlichen. Javier zog sein Handy wieder hervor und klappte es auf. Er richtete es auf den Liliputaner und schoss ein Foto. Alle drei blinzelten angesichts des Blitzlichts.
»Was soll denn das?«, fragte Heather.
Javier zuckte mit den Schultern. »Beweise. Ich dokumentiere alles.«
»Wozu?«
»Damit ich es der Polizei zeigen kann, wenn wir hier rauskommen.«
Kerri starrte auf den Leichnam. »Du hast ihn getötet.«
»Ja«, bestätigte Javier. »Das hab ich. Und bitte geh mir deswegen jetzt nicht auf den Sack. Er wollte mir den verdammten Schwanz abschneiden. Ganz zu schweigen davon, dass ...«
»Nein«, fiel Kerri ihm ins Wort. »Das wollte ich gar nicht sagen. Ich will nicht mit dir streiten. Aber das ist nicht der Kerl, der Tyler und Steph umgebracht hat. Das ist jemand anderes. Das bedeutet, dass es mehr als einen gibt.«
Die drei Teenager starrten sich gegenseitig an.
»W-wie viele?« Heather steckte einen Zeigefinger in den Mund und begann, auf dem Nagel zu kauen. Wie zur Antwort kamen weitere Schritte den Gang herab. Diesmal klangen sie deutlich verstohlener als bei dem Liliputaner.
Und wesentlich schneller.
Javier hob das Messer auf und huschte hinter die Tür. Kerri packte den Knüppel und presste sich wie zuvor Javier gegen die Wand. Heather wich in die Schatten zurück.
Draußen auf dem Gang verstummten die Schritte kurz, dann setzten sie erneut ein. Javier drückte ein Ohr an die Wand und lauschte. Wieder blieb der Unbekannte stehen.
Jemand überprüft die Türen, dachte Javier. Seine Muskeln spannten sich an. Seine Handflächen wurden feucht vor Schweiß. Er verstärkte den Griff um das Messer und bemühte sich, ruhig zu bleiben.
Die Schritte setzten den Weg durch den Gang fort, mittlerweile lauter. Plötzlich hielten sie ein weiteres Mal inne. Das Licht, das unter der Tür hindurch in den Raum schimmerte, flackerte leicht. Die Tür öffnete sich – erst einen Zentimeter, dann zwei. Javier hörte ein schweres, panisch klingendes Atmen. Die Tür schwang einige weitere Zentimeter auf. Javier presste sich an die Wand, hielt den Atem an und zog den Bauch ein, damit ihn die Tür nicht traf. Unvermittelt verspürte er den Drang, zu pinkeln. Er spielte mit dem Gedanken, dem Eindringling die Tür vor der Nase zuzuschlagen, doch dann wären sie in diesem Raum gefangen. Es schien besser zu sein, den Neuankömmling erst vollständig eintreten zu lassen und sich dann von
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