Urban Gothic (German Edition)
kurz, ob er weitermachen sollte. Bestimmt hatte man es längst leer geräumt. Der Kasten sah jedenfalls uralt aus – und größer als alle Reihenhäuser weiter vorne an der Straße. Er musterte das alte Gemäuer noch etwas länger und beschloss, dass er genauso gut einen genaueren Blick darauf werfen konnte.
Paul stieg aus dem Van und schloss leise die Tür hinter sich. Er schaute die Straße in beide Richtungen entlang, um sich zu vergewissern, dass ihn niemand beobachtete. Dabei fiel ihm ein Stück entfernt eine Gruppe von Leuten auf den Stufen einer Veranda auf. Er wusste allerdings nicht, ob sie zu ihm herübersahen oder nicht. In ihrer Nähe lehnte auf der anderen Straßenseite eine einsame Nutte an einer Ziegelsteinmauer und zupfte sich den Rock zurecht. Abgesehen davon präsentierte sich die Gegend verwaist. Keine Autos oder Fußgänger. Paul schaute zum Himmel. Die Wolken verdeckten nach wie vor den Mond. Er fühlte sich ziemlich sicher, dass ihn die Gruppe auf der Veranda nicht genau erkennen konnte, selbst wenn sie in seine Richtung blickten. Dafür war es zu dunkel.
Er ging zum Heck des Vans, öffnete die Tür und zog eine große Werkzeugkiste zu sich heran. Darin befanden sich verschiedene Gegenstände, die er von Zeit zu Zeit benötigte: Taschenlampen, Draht- und Metallscheren, Bolzenschneider, Brecheisen, ein Werkzeuggurt, Schraubenzieher, Sechskantschlüssel, Hämmer, Meißel, Lederhandschuhe und ein kleiner tragbarer Schweißbrenner. Er zog die Handschuhe an und krümmte die Finger, griff sich eine Taschenlampe und einen Flachkopfschraubenzieher. Er nahm sich vor, das Haus nur kurz zu checken. Falls es vielversprechend aussah, konnte er immer noch zum Van zurücklaufen und das restliche Werkzeug holen.
Vorsichtig näherte sich Paul dem Gebäude und achtete auf jegliche Anzeichen, dass sich Hausbesetzer oder sonstige unerwünschte Personen darin aufhielten. Das Bauwerk lag still vor ihm. Auf Zehenspitzen erklomm er die ausgetretene Veranda. Die Bretter ächzten unter seinen Füßen. Er streckte die Hand aus und versuchte, die Tür zu öffnen. Abgesperrt. Paul rüttelte am Messingknauf, wunderte sich über dessen Widerstandskraft und merkte sich in Gedanken vor, ihn später abzumontieren. Messing war derzeit nicht ganz so stark gefragt wie Kupfer, dennoch erzielte es auf dem Markt einen guten Preis.
Paul ging zur Seite des Hauses und spähte dabei über die Schulter zurück, um sich zu vergewissern, dass die Luft nach wie vor rein war. Als er außer Sichtweite der Straße kam, näherte er sich einem der Fenster im Erdgeschoss und schielte ins Innere. Nichts als pechschwarze Finsternis. Paul schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete damit ins Fenster. Das Licht wurde zu ihm zurückgeworfen. Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass jemand das Glas schwarz lackiert hatte. Eine rasche Überprüfung bestätigte, dass jemand alle Fenster auf dieser Seite des Hauses übermalt hatte. Kopfschüttelnd lauschte er. Immer noch drang kein Laut aus dem Gebäude. Paul zog den Schraubenzieher aus der Tasche und schlug damit gegen die Ecke einer Scheibe. Das Glas bekam einen Sprung, zerbrach aber nicht, wie er gehofft hatte. Mit der Spitze löste er eine dreieckige Scherbe vom Fenster, dann leuchtete er hinein und lugte durch die Öffnung.
Nichts als Ziegelstein.
Jemand hat das Fenster zugemauert?
Paul wurde neugierig. Wenn sich jemand die Mühe gemacht hatte, den Zugang auf solche Weise zu verhindern, bestand die Möglichkeit, dass das Gebäude unangetastet von Hausbesetzern oder Plünderern geblieben war. Es ließ sich unmöglich abschätzen, was er vielleicht darin fand.
Er ging zu einem zweiten Fenster und wiederholte den Vorgang. Dahinter stieß er auf eine weitere Ziegelwand, allerdings wies das Mauerwerk hier eine andere Farbe und Beschaffenheit auf. Er vermutete, dass man die Mauer zu einem anderen Zeitpunkt als die vorherige errichtet hatte.
So komme ich da nicht rein.
Er lief um das Haus herum und entdeckte eine Hintertür. Auch die entpuppte sich als abgesperrt und ähnlich robust wie der Vordereingang. Paul zweifelte nicht daran, dass er beide Türen aufbrechen konnte, aber das brachte eine Menge Lärm mit sich, der wahrscheinlich unerwünschte Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Deshalb beschloss er, stattdessen nachzusehen, ob das Gebäude einen Keller besaß, und falls ja, ob es einen Zugang von außen gab – eine Tür zur Sturmsicherung oder eine Treppe. Mehrere Minuten lang suchte er,
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