Urban Gothic (German Edition)
wahnsinnige Boshaftigkeit mit. Heather hielt sich mit den Händen den Mund zu und bemühte sich, keinen Mucks von sich zu geben. Trotzdem glitt zwischen ihren Lippen und Fingern ein klägliches Winseln hervor.
»Schon gut, Miez«, sagte die Kreatur in der Finsternis. »Komm her. Wenn du’s jetzt tust, breche ich dir das Genick und mach es richtig schnell, damit du nichts spürst, wenn wir dich fressen.«
Die Stimme hörte sich an, als komme sie von allen Seiten gleichzeitig. Heather ging tief in die Hocke, ignorierte die Schmerzen in ihren Händen und konzentrierte sich darauf, langsam und tief zu atmen und reglos zu verharren. Sie atmete ein und aus, zwang sich zur Ruhe. Nach einigen weiteren Atemzügen fühlte sie sich klarer im Kopf – immer noch verängstigt, aber nicht mehr gelähmt vor Furcht.
Sie hörte schlurfende Schritte, als ziehe ihr Jäger ein Bein nach. Die Geräusche stammten von links. Dann vernahm sie das Schnalzen des Gürtels. In der Dunkelheit klang es sehr laut. Heather schöpfte Hoffnung. Das musste Javier sein. Sie hatte gewusst, dass er sie nicht einfach zurückließ.
»Javier?« Ihr Ruf hallte in der Kammer wider.
»Nein. Ich bin Scug. War Javier der Kerl mit dem Gürtel? Denn der gehört jetzt mir. Und du auch. Du wirst zu meinem neuen Anzug.«
Schreiend sprang Heather auf die Füße und flüchtete. Gelächter erscholl hinter ihr und verfolgte sie. Der Gürtel schnellte pfeifend durch die Luft und klatschte gegen die Wand. Heather zuckte zusammen und rannte weiter. In der Finsternis bemerkte sie nicht, dass sich der Tunnel gabelte und in mehrere verschiedene Richtungen verzweigte.
Kerri flüchtete Hals über Kopf in die Schwärze hinein, ohne auf die unförmigen Gestalten zu achten, die von allen Seiten nach ihr griffen. Heather verschwand vor ihren Augen, wurde von den Schatten verschluckt. Brett brüllte hinter ihr, aber als sie sich umdrehte, um nachzusehen, was vor sich ging, sprang eine große, dürre Erscheinung auf sie zu, die von Seite zu Seite schwankte. Es handelte sich nicht um Noigel – dieser Angreifer schien entschieden schmaler als der mordlustige Hüne zu sein. Als sich die Gestalt näherte, bemerkte sie eine rostige Eisensäge in deren Hand. Kerri drehte sich um und spurtete los, vergaß Brett völlig. Sie raste an zwei Schemen vorbei und rannte geradewegs in einen dritten hinein. Sowohl Kerri als auch die Kreatur gingen zu Boden. Sofort sprang sie wieder auf, trat dem gestürzten Mutanten – vermutlich – ins Gesicht und floh weiter. Immerhin blieb ihr der Knüppel, den hatte sie zwischendurch fast vergessen. Sie schwang ihn, als eine weitere schattige Gestalt auf sie zuhielt. Der Knüppel vibrierte durch die Wucht des Aufpralls, und der Nagel am Ende des Holzstücks bohrte sich tief in das Gehirn der Kreatur. Als Kerri versuchte, die Waffe herauszuziehen, blieb sie im Schädel der Leiche stecken. Sie ließ los und rannte weiter.
Irgendetwas quiekte zu ihrer Linken und kleine, kinderartige Finger krallten in dem Versuch an ihrem Oberschenkel, die Jeans zu fassen zu bekommen. Kerri schlug mit der Hand danach, traf auf Haut und hörte, wie die Kreatur grunzte. Die Finger lösten sich von ihr und sie beschleunigte wieder. Kerri machte erst einen Haken nach rechts, dann nach links. Ziellos irrte sie durch den weitläufigen Raum, ausschließlich darauf bedacht, nicht erwischt zu werden. Hinter ihr klatschte eine Vielzahl von Füßen, begleitet von einem Chor aus Grunzlauten, Keuchen, Geheul und Gelächter. Irgendetwas pfiff durch die Luft und traf sie hart am Rücken. Kerri schrie auf, wurde aber nicht langsamer. Sie hörte, wie der Gegenstand – vermutlich ein Stein – mit einem Schlag zu Boden fiel. Zwei weitere Geschosse segelten in der Finsternis an ihr vorbei, so nah, dass sie tatsächlich ihren Luftzug spüren konnte.
Kerri scherte erneut aus, änderte abermals die Richtung. Japsend stolperte sie umher. Ihre Hände berührten nichts und niemanden. Sie vernahm einen gequälten Aufschrei, vermochte jedoch nicht zu sagen, von wo oder von wem er stammte. Von Brett? Von Heather? Von Javier? Von einer der Kreaturen? Sie rannte weiter, die Hände ausgestreckt, und schwenkte von den Wänden weg, wobei sie sich erst zu weit nach rechts und dann zu weit nach links vom Weg abdrängen ließ. Ihr Fuß landete in einer kalten, nassen Pfütze. Sie hörte ein Platschen und fühlte, wie ihr Schuh völlig durchnässt wurde. Ihre Socke verursachte bei jedem Schritt
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