Urban Gothic (German Edition)
denn vor, was wir tun sollen?«
Perry schwieg zunächst, schirmte mit einer Hand eine Zigarette ab und zündete sie an. Dann stopfte er das Feuerzeug zurück in die Hosentasche und grinste.
»Weiß ich noch nicht. Deshalb hab ich mich ja gefragt, ob du einen Plan hast. Sehen wir uns die Geschichte erst mal an. Hat keinen Sinn, sich den Kopf über etwas zu zerbrechen, bevor feststeht, womit man’s zu tun hat.«
Sie erreichten das Ende des Blocks und liefen über das Brachland, das dieses alte Gemäuer von den restlichen Häusern in der Straße trennte. Perry und Leo gingen an der Spitze nebeneinander. Die anderen schlichen hinter ihnen her und warfen dabei nervöse Blicke in alle Richtungen. Jeder Betonbrocken, jeder verbogene Trägerbalken nahm in der Dunkelheit bedrohliche Formen an, verwandelte sich in eine lauernde Gefahr, die nur darauf wartete, sie mit einer Pistole oder einem Messer im Anschlag anzuspringen. Das wild wuchernde Unkraut auf dem leeren Grundstück eignete sich erstklassig als Versteck. Beklommen näherten sie sich dem Gestrüpp. Der hohe, rostige Maschendrahtzaun wogte und klimperte im Wind, was sich wie das Rasseln der Kette eines Gespensts anhörte. Das Haus ächzte, als fühle es sich durch ihre Ankunft gestört. Oder erwartete sie das Gemäuer sogar?
Am Fuß der Verandatreppe blieben sie stehen. Perry zog ausgiebig an seiner Zigarette. Die Spitze leuchtete orange auf und zeichnete sich als einzige Lichtquelle ab. Schaudernd wandte sich Perry an Leo und forderte ihn auf, eine der Taschenlampen einzuschalten. Der junge Mann tat es, doch Perry bemerkte, wie dessen Hände dabei zitterten. Leo hatte Angst. Perry ließ den Blick über die Gesichter der anderen schweifen. Sie alle hatten Angst.
Tja, dachte er. Wenigstens bin ich nicht der Einzige .
»Richte den Strahl auf den Boden«, raunte er Leo zu. »Falls da drin üble Typen sind, wollen wir nicht, dass sie die Taschenlampen durchs Fenster sehen.«
Leo nickte und schwieg.
Perry schluckte schwer, ließ seinen Zigarettenstummel auf den Boden fallen und trat ihn aus, stampfte ihn mit dem Absatz in die Erde. Dann erklomm er die Stufen zum Vordach und näherte sich der Eingangstür. Die alten Bodendielen knarrten und ächzten, bogen sich unter seinem Gewicht durch. Einige Schritte vor der Tür blieb er stehen und drehte sich um. Die Jungen rührten sich nicht von der Stelle und beobachteten ihn.
»Kommt ihr nicht?«
»Gehen Sie nur vor«, flüsterte Jamal. »Wir halten Ihnen den Rücken frei.«
»Von da unten?«
Sie verlagerten das Gewicht von einem Bein aufs andere und starrten zu Boden, abgesehen von Leo, der einen zögerlichen Schritt vortrat. Mit dem Fuß auf der unteren Stufe zog er einhändig seine Hose hoch und stützte sich auf das Geländer, das bei der Berührung wackelte.
Kopfschüttelnd drehte sich Perry um und schlurfte den restlichen Weg über die Veranda. Jedes Mal, wenn ein Bodenbrett knarzte, zuckte er zusammen. Vor der Tür blieb er stehen und holte tief Luft. Auf der rechten Seite, wo sich einst ein Klingelknopf befunden hatte, klaffte eine leere Öffnung. Abgewetzte, verblasste Schraubenlöcher wiesen darauf hin, dass es irgendwann auch einen Klopfer gegeben haben musste – vermutlich gestohlen. In der Mitte der Tür entdeckte er einen Spion, doch als er sich vorbeugte, um einen Blick hindurch zu erhaschen, sah er nur Finsternis. Plötzlich überkam Perry das unheimliche Gefühl, dass jemand von der anderen Seite zu ihm herausstarrte. Eine Gänsehaut überzog seine Arme und seine Nackenhärchen richteten sich auf.
»Und?«, flüsterte Dookie. »Worauf warten Sie, Mr. Watkins?«
Zähneknirschend hob Perry die Faust und klopfte. Das Holz wummerte unter seinen Knöcheln, doch nichts geschah. Die Tür blieb geschlossen, von drinnen ließ sich kein Mucks vernehmen. Perry klopfte erneut, diesmal lauter, allerdings mit demselben Ergebnis. Nach dem dritten, noch eindringlicheren Versuch trat er einen Schritt zurück und wartete. Kurz darauf schaute er sich zu den Jungs um.
»Lauft mal seitlich ums Haus und überprüft die Fenster. Lasst euch von niemandem erwischen, aber späht rein, ob irgendwelche Lichter an sind oder euch sonst was auffällt.«
Sie zögerten, wollten sich offenbar nur ungern aufteilen. Sie tauschten Blicke untereinander, dann schauten sie unsicher zu ihm hoch.
»Na los«, drängte er.
»Ihr habt den Mann gehört«, übernahm Leo das Kommando. »Macht schon.«
Jamal und Chris kümmerten sich um die
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