Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)
zum König und wurde mit einem Vermögen belohnt. Wissenschaftler behaupten, es müsse sich um eine Art Hyäne gehandelt haben, doch viele Menschen damals glaubten, dass ein Werwolf für die ganzen Todesfälle verantwortlich war.«
»Sie hatten nicht ganz unrecht. Es waren tatsächlich Werwölfe«, sagte Gabriel. »Und es waren hundertsiebzehn Todesfälle. Dieses Buch ist nicht ganz genau. Aber keines dieser Bücher ist präzise, denn nur eine Handvoll von uns weiß, was damals wirklich passiert ist.«
»Du warst dort?«
Gabriel nickte. »Weißt du, es gab eine Zeit, in der mein Rudel eng mit der Gesellschaft zusammenlebte. Wir mischten uns wie normale Menschen unters Volk. Ich versuchtesogar, eine Zeit lang als Priester zu leben, nicht ganz so einsam wie ein Mönch. Doch unser Alpha zu jener Zeit – sein Name war Ulrich – ließ die Werwölfe unseres Rudels frei herumjagen. Zunächst waren sie sehr zurückhaltend, dann schlugen viele von ihnen über die Stränge. Sie glaubten, dass wir als höherstehende Wesen das Land mit Terror regieren sollten. Ulrich war der Meinung, die Regierung stürzen zu können, wenn die Bauern nur Angst genug bekämen, um eine Revolte anzuzetteln. Viele aus dem Rudel fanden Gefallen daran, Frauen und Kinder anzugreifen und ihre ausgeweideten Körper auf Straßen oder Waldwegen liegen zu lassen, wo sie von anderen gefunden werden konnten. Sie saßen auf dem Marktplatz und lauschten vergnügt den Klagen der Hinterbliebenen und den Schreien der Verängstigten.«
Mit einem unangenehmen Gefühl schob ich mich auf meinem Stuhl nach vorn. Das hier war schlimmer als die Erzählung im Buch.
»König Ludwig XV. hörte schließlich auf die Klagen seines Volks und setzte ein Kopfgeld zur Ergreifung der mutmaßlichen Bestie aus. Er berief Bauern zu Soldaten, die die Wölfe töten sollten, und schickte seine besten adeligen Jäger in die umliegenden Dörfer und Wälder. Die Männer des Königs plünderten viele der Bauernhäuser auf der Suche nach Nahrung und Werkzeugen aus, vergewaltigten die Töchter und zerstörten die Höfe – alles im Namen der Suche nach der Bestie. Es wurde eine sehr gefährliche Zeit für jeden, den man verdächtigte, etwas über Wölfe zu wissen. Viele aus meinem Rudel wurdenvon Jägern angeschossen, als sie sich in der Wolfsform befanden. Natürlich überlebten sie alle, aber es war für sie nicht angenehm, so weiterzuleben. Trotzdem setzten Ulrich und viele der Wölfe aus unserem Rudel das Töten fort, selbst auf die Gefahr hin, uns alle zu entlarven.«
»Das ist ja schrecklich. Was hast du getan?«
Gabriel massierte einen seiner Finger, dessen Haut an einer Stelle heller war als seine übrige Hand. »Ich machte mir Sorgen um die Dorfbewohner. Es brach mir das Herz, so viele sterben zu sehen, noch dazu aus reiner Willkür. Als Priester habe ich viele von ihnen zu Grabe getragen. Doch glücklicherweise war ich nicht der Einzige, der Ulrichs Untaten verabscheute. Mein Mentor Sirhan, der der wahre Alpha unseres Rudels hätte sein sollen, hatte die Führungsposition aus Respekt vor seinem Vater Ulrich nicht beansprucht. Dennoch fürchtete er, dass er womöglich gar kein Rudel mehr zu beerben hätte, wenn er zu lange wartete. Er und ein paar andere aus der Gruppe ersannen einen Plan. Ich weigerte mich, unmittelbar daran mitzuwirken, da er weiteres Töten bedeutet hätte. Doch als Priester segnete ich ein paar Silberkugeln für sie. Sirhan wartete also, bis sich Ulrich in einen Wolf verwandelte. Als Ulrich sich gerade anschickte, einen Bauern anzugreifen, der ihm hinterherjagte, schoss Sirhan ihm eine meiner Silberkugeln direkt durch das Herz. Dann sagte er dem Bauern, er würde eine fürstliche Belohnung erhalten, wenn er den riesigen toten Wolf zum König brächte und behauptete, er habe ihn getötet.
Sirhan wurde daraufhin der wahre Alpha des Rudelsund setzte dem Töten ein Ende. Als die passende Zeit gekommen war, brachte er alle nach Amerika. Seit dieser Zeit leben wir in Abgeschiedenheit. Sirhans oberstes Gebot ist das Überleben des Rudels. Und ich, als sein Beta und Hüter des Rudels, bestärke sie darin, in Frieden zu leben. Manche mögen das als Feigheit bezeichnen. Ich nicht.«
»Und seitdem hat das Rudel friedlich gelebt?«, fragte ich. Es passte nicht zu dem, was Talbot mir erzählt hatte – dass Wölfe aus Gabriels Rudel seine Familie angegriffen hatten.
»Viele jagen weiterhin auf unserem Territorium, überwiegend Tiere. Leider haben sich während der
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