Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)
ich Talbot wiedersehen würde. Auf der ganzen Busfahrt nach Apple Valley stapfte ich in nervöser Erwartung mit dem Fuß auf und nahm kaum wahr, worüber April redete, bis sie mich fragte, was ich von Diademen hielt.
»Äh, was bitte?«
»Diademe: pro oder contra? Sag bitte ja, da ich unbedingt ein Killer-Diadem entwerfen möchte. Oh! Vielleicht könnte es sogar tatsächlich tödlich sein?! Mit silbernen Sporen, die sich in chinesische Wurfsterne oder so was verwandeln.« Zitternd schrieb sie etwas in ihr Notizbuch.
»Worüber reden wir gerade noch mal? Wozu brauche ich ein Diadem?« Und wollte ich das wirklich wissen?
April hob einen Finger. Sie notierte noch etwas in ihrem Buch. »Wir sprachen über ein Prinzessinnen-Motto für dein Kostüm. So was wie die Prinzessin der Wölfe. Princess Lupina. Prinzessin der Hunde … nein …«
»Du machst Witze, stimmt’s? Kein Polyester. Keine Diademe. Und ganz sicher keine Prinzessinnen.« Ich versuchte, ihr das Notizbuch zu entreißen, um nachzusehen, womit zum Teufel sie da die ganze Zeit beschäftigt gewesen war, während ich nicht zugehört hatte.
Sie presste das Notizbuch an ihre Brust, sodass ich es mir nicht schnappen konnte. »Wie wär’s mit Prinzessin Miststück?«
»April!« Meine Kinnlade fiel runter. Solche Ausdrücke benutzte sie sonst nie.
»Also, du bist in letzter Zeit ganz schön daneben«, erwiderte sie.
»Ich bin nicht daneben. Ich bin einfach nur, nun ja, nervös.«
Da Talbots Vorstellung vom Testen meiner Fähigkeiten mehr als intensiv gewesen war, wusste ich nicht, was ich erwarten sollte, als er von Grundtraining gesprochen hatte. Daher war ich erstaunt, als er uns zu einem heruntergekommenen Einkaufszentrum in Apple Valley fuhr, nachdem ich ihn auf dem Busparkplatz getroffen hatte.
»Wenn du glaubst, dass ich meine Einkaufsfähigkeiten trainieren muss, dann hab ich dafür schon April«, scherzte ich, während ich ihm in einen der Läden folgte.
»Das hier ist keine Vergnügungstour«, sagte er undzeigte auf das Schild über der Ladentür. Die Hälfte der Buchstaben fehlte. Doch ich konnte erkennen, dass es sich um ein Karate-Studio für Kinder handelte. Ein Dōjō. Zumindest glaubte ich, dass man es so bezeichnete.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn du glaubst, dass ich mich hier für einen Kindergartenkurs anmelde, dann bist du echt auf dem Holzweg.«
Talbot verdrehte die Augen. »Das Studio ist seit einem Jahr geschlossen. Die Rock Canyon Stiftung hat das Gebäude gerade angemietet. Sie planen, das Ganze für ein Sozialprogramm mit Jugendlichen zu renovieren. Aber ich glaube, wir können das Studio für ungefähr eine Woche allein benutzen. Der perfekte Ort, um deine Fähigkeiten in kontrollierter Umgebung zu verfeinern.« Er zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Eingangstür und hielt sie mir auf.
»Kontrollierte Umgebung?« Gleich hinter der Tür gab es einen kleinen Warteraum mit staubigen Metallstühlen und einen langen dunklen Flur, der offenbar in das eigentliche Studio führte. »Schwörst du, dass da drinnen keine Dämonen sind, die sich auf mich stürzen?« Ich konnte mir allzu gut ein paar Gelals vorstellen, die mit ausgefahrenen Krallen auf mich warteten, sobald ich das Studio betrat.
Talbot grinste. »Tja, vielleicht könnte ich mich ja auf dich stürzen – aber nur, wenn’s gewünscht wird.«
»Das würde ich zu gerne sehen.«
Talbot schüttelte ein wenig den Kopf und blickte mich leicht hoffnungsvoll an.
»Da haben wir wohl beide einen schlechten Witz gemacht«,sagte ich und verspürte sowohl Verlegenheit als ein Schuldgefühl, weil ich mich auf seinen Flirtversuch eingelassen hatte. Bei Daniel und mir herrschte derzeit vielleicht nicht gerade eitel Sonnenschein, aber das war überhaupt keine Entschuldigung. »Tut mir leid.« Wenn Talbot mein Mentor sein sollte, so musste ich, noch bevor es überhaupt zu einem Flirt kam, eine deutliche Grenze zwischen uns ziehen.
Talbots Wangen waren von einem leichten Rosa überzogen. »Na, wie dem auch sei. Ich verspreche, dass ich dir heute bloß ein paar neue Tricks beibringe.«
Talbot und ich durchquerten den langen Flur und betraten das Dōjō. Überall lagen staubbedeckte Matten herum. Eine Wand war von einer langen Reihe zerbrochener Spiegel bedeckt.
Talbot öffnete seinen Rucksack. Er zog einen dieser weißen Karate-Anzüge heraus und reichte ihn mir. »Da drüben ist eine Toilette. Du solltest dir diesen Keikogi überziehen, damit deine
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