Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
wieder. »Schöner Versuch, aber ich habe nach der Schule einen Job in der City.«
»Ich bin darüber informiert worden, dass die Schule Ihnen ein Stipendium zum Bestreiten Ihrer Unterhaltskosten gewährt hat. Ganz offenbar haben Sie bei einem der Verwaltungsräte einen Stein im Brett, aber erwarten Sie bitte keine Sonderbehandlung von mir. Entwederwerden Sie jeden Tag nach der Schule in dieser Klasse sein oder Sie sind überhaupt nicht hier.«
Daniel hielt sich an der Tischkante fest und lehnte sich vor. »Das können Sie nicht machen. Ich brauche das Geld.« Schließlich wandte er den Blick ab. »Ich habe andere Verpflichtungen.«
Ich spürte einen Hauch Verzweiflung in seiner Stimme. Das Wort
Verpflichtung
ließ meinen Mund ganz trocken werden.
»Das sind meine Bedingungen«, sagte Barlow. »Sie haben die Wahl.« Er raffte einige Papiere zusammen und ging zurück in sein Büro.
Daniel schleuderte seinen Stuhl zur Seite und preschte wütend aus dem Raum. Ich folgte ihm in den Flur.
Daniel fluchte und donnerte seine Faust auf einen der Spinde. Das Metall verformte sich unter seinen Knöcheln. »Das kann er nicht machen.« Er schlug noch einmal auf den Spind und zuckte nicht einmal vor Schmerz. »Ich habe Verpflichtungen.«
Da war es wieder, dieses Wort. Ich fragte mich, was es wohl bedeuten mochte.
»Er will mich zu einem dressierten Zirkuspferd machen. Und ich trag auch schon dieses dämliche Hemd.« Daniel fummelte an den Knöpfen herum und zog es aus. Dabei entblößte er sein helles T-Shirt sowie lange, sehnige Armmuskeln, die mir vorher noch nicht aufgefallen waren. Er knallte sein Hemd vor den Spind. »Das ist alles totaler Drecksch…«
»Hey!« Ich packte seine Hand, bevor er zum nächstenSchlag ausholen konnte. »Diese Spinde gehen mir manchmal auch ziemlich auf die Nerven«, sagte ich und starrte eine Gruppe von dumm glotzenden Erstsemestern an, bis sie sich schließlich vom Flur verzogen. »Verdammt, Daniel!«, sagte ich und beugte mich zu ihm rüber. »Fluch nicht in der Schule. Sie schmeißen dich sonst raus.«
Daniel leckte sich über die Lippen und lächelte
beinahe
. Er entspannte seine Faust, die ich noch immer festhielt, und ließ sein blaues Hemd fallen. Ich versuchte, seine Hand zu untersuchen, die angesichts der tiefen Beule im Spind sicher lila angelaufen war, doch er entzog sie mir und schob sie in die Hosentasche.
»Das ist doch wirklich totaler Mist«, sagte Daniel und lehnte sich gegen den malträtierten Spind. »Dieser Barlow kapiert’s einfach nicht.«
»Nun, vielleicht kannst du ja noch mal mit ihm reden. Oder vielleicht kann ich es ihm erklären, wenn du mir sagst, worin deine
Verpflichtungen
bestehen …«
Na klar, ging’s vielleicht noch ein bisschen offensichtlicher?
Daniel sah mich einen Moment lang an. Seine Augen schienen das fluoreszierende Licht des mäßig beleuchteten Flurs zu reflektieren. »Was hältst du davon, wenn wir einfach verschwinden?«, fragte er schließlich. »Du und ich.« Er reichte mir seine völlig unverletzte Hand. »Wir pfeifen auf diese Deppen und unternehmen was.«
Ich war für meine schulischen Leistungen ausgezeichnet worden, war die Tochter eines Pastors, war einmalsogar Bürgerin des Monats gewesen und außerdem ein Mitglied des Leben-für-Jesus-Clubs, doch für eine winzige Nanosekunde vergaß ich all das. Ich brannte darauf, seine Hand zu nehmen. Aber dieses Gefühl machte mir auch Angst; es führte dazu, dass ich ihn hasste.
»Nein«, sagte ich, bevor ich mich wieder anders entscheiden konnte. »Ich kann’s mir nicht leisten, die Klasse zu versäumen, und du auch nicht. Wenn du noch einen Tag auslässt, verlierst du dein Stipendium. Du willst doch immer noch nach Trenton gehen, oder?«
Daniel ballte die Hand zur Faust. Er holte tief Luft und sein Gesicht verwandelte sich in eine kühle, glatte Fassade. Dann zog er einen zerknüllten Zettel aus der Tasche. »Okay, Teuerste, und wie komme ich jetzt in die Geometrieklasse?«
Ich schaute auf seinen Stundenplan und war froh, dass wir nur den Kunstunterricht gemeinsam hatten. »Raum 103 ist da den Flur runter und dann links. Hinter der Cafeteria. Du kannst ihn nicht verfehlen. Und verspäte dich nicht. Mrs Croswell lässt gern nachsitzen.«
»Willkommen daheim«, murmelte Daniel. »Ich hab völlig vergessen, wie sehr ich diesen ganzen Sch… Mist hasse.« Er grinste mich zynisch an, dann lachte er in sich hinein.
»Ja, willkommen daheim«, erwiderte ich. Und dieses Mal war ich
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