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Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Titel: Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bree Despain
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über das gesamte Viertel, ein Blick auf die Welt aus der Vogelperspektive. Durch die Äste konnte ich die Dächer der umliegenden Häuser erkennen; aus dem Kamin bei Headricks kam Rauch. In der Sackgasse, wo Jude, Daniel und ich früher mit unseren Laserschwertern herumgerannt waren, spielten ein paar Kinder Hockey. Dort hatte mir Daniel, nachdem ich lange genug gequengelt hatte, beigebracht, wie man Skateboard fuhr. Ich blickte nach oben. Ein paar Zweige wiegten sich über mir im Wind und tanzten im blauen, mit Wolken durchsetzten Himmel.
    »Ich sehe alles«, sagte ich. »Ich sehe …«
    »Verrat’s mir nicht. Zeig es mir.« Er zog meinen Zeichenblock unter seinem T-Shirt hervor. »Zeichne einfach, was du siehst«, sagte er und versuchte, mir meine Utensilien zu reichen.
    »Hier oben?« Ich hielt noch immer den Zweig umklammert. Wie konnte er glauben, dass ich hier zeichnen konnte, ohne herunterzufallen. »Ich kann nicht.«
    »Hör auf, dir Gedanken zu machen.« Er lehnte sich gegen den Stamm. »Komm hier rüber.«
    Mit seiner Hilfe arbeitete ich mich langsam vor und setzte mich schließlich vor ihn auf den Ast. Er reichte mir meine Sachen. Ich lehnte mich gegen seine Brust, und er legte mir die Arme um die Hüften. »Fang an«, sagte er. »Ich halte dich, bis du fertig bist.«
    Ich führte den Kohlestift zum Papier. Einen Moment lang zögerte ich. Was wollte ich zeichnen? Ich schaute über das Grundstück in die andere Richtung. Von hier aus gesehen war das Meiste unseres im Kunsthandwerkstil gebauten Hauses von Zweigen verdeckt, doch es sah noch aus wie damals, als ich hier oben als Kind gesessen hatte. Nicht zusammengeflickt und alt, sondern solide, einladend und sicher. Meine Hand fing an, sich zu rühren, und zeichnete, was ich sah. Flüchtige Eindrücke aus meiner Kindheit, gesehen aus der Krone des Walnussbaums.
    »Gut«, kommentierte Daniel, während er meine Fortschritte verfolgte. Die meiste Zeit war er still, deutete nur manchmal auf dieses oder jenes. »Sieh nur, wie die Sonne von der Wetterfahne reflektiert wird. Zeichne nur das Dunkle, nicht das Licht selbst.«
    Ich zeichnete drauflos und ließ die Kohlestriche einfach aus mir herausfließen, bis sich meine Hand verkrampfte und müde wurde. Ich hörte auf, um sie ein wenigzu dehnen; Daniel nahm den Zeichenblock von meinem Schoß. »Gut. Es ist wirklich gut«, sagte er und schmiegte seine Nasenspitze an meinen Hinterkopf. »Das solltest du in Öl malen.«
    »Lieber nicht«, gab ich zurück und beugte mich nach vorn.
    Daniel ließ seine Finger über meine Wirbelsäule fahren. »Immer noch nicht so begeistert?«
    »Ich hab seit Jahren keine Ölfarben probiert.« Nicht seit dem Tag, an dem seine Mutter ihn zu sich genommen hatte.
    »Du kommst niemals nach Trenton, wenn du nicht den richtigen Dreh findest«, sagte er.
    »Ich weiß. Barlow bequatscht mich schon das ganze Jahr über.«
    »Ohne dich wäre es dort nicht dasselbe.«
    Ruckartig wich ich vor ihm zurück und ließ meine Beine seitwärts über den Ast hinabbaumeln. Daniel stellte sich uns zusammen auf dem College vor? Es schien seltsam, über die Zukunft nachzudenken – unsere Zukunft –, wenn gleichzeitig so viele komische Dinge passierten. Was machten wir überhaupt hier oben? Wir hatten uns an den Händen gehalten, uns berührt und die halbe Nacht lang geredet. Doch was hatte das alles zu bedeuten? Was könnte es bedeuten?
    »Du hast mir übrigens nie diese Technik mit Leinöl und Firnis erklärt«, sagte ich. Es war der ›Trick‹, den er mir damals zu zeigen versprochen hatte, kurz bevor er mit seiner Mutter weggegangen war.
    Daniel räusperte sich und zog sich auf die Füße hoch. »Das weißt du noch?«
    »Ich habe versucht, es zu vergessen«, gab ich zu. »Ich habe versucht, alles zu vergessen, was dich betrifft.«
    »Hast du mich so sehr gehasst?«
    »Nein«, sagte ich, griff nach einem Zweig und zog mich ebenfalls hoch. Ich stand noch immer mit dem Rücken zu ihm. »Ich habe dich so sehr vermisst.«
    Daniels Finger spielten mit meinem Haar; eine leichte Gänsehaut breitete sich über meinem Rücken aus. »Gott allein kennt all die Dinge, die ich versucht habe, um dich aus dem Kopf zu bekommen.«
    »Mich?«
    »Grace, ich … du hast …« Daniel legte mir die Hand auf die Schulter. Er seufzte, und ich ahnte, dass er jetzt wieder das Thema wechseln würde.
    Ich entzog mich seiner Berührung und ärgerte mich darüber, dass ich nun nicht erfahren würde, was er sagen wollte.
    »Ich kann

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