Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
entgegnete Mom. »Er ist bestimmt bald wieder hier … hoffe ich.«
James klatschte mit der Hand auf seine Portion à la King und bedachte uns mit einem feinen Regen aus Erbsen und Sahnesauce, der sich über den Tisch ausbreitete. Er lachte und rief sein neues Lieblingsschimpfwort.
»James!« Mom errötete leicht. »Wo kann er das bloß aufgeschnappt haben?«
Charity kicherte.
»Keine Ahnung«, sagte ich und versuchte, eine ernste Miene aufzusetzen. Daniel hätte sich kaputtgelacht, wenn er hier gewesen wäre. Übrigens war es wirklich schade, dass er nicht dabei war, denn das hier war auch eines seiner Lieblingsgerichte. Ich überprüfte den Inhalt des Topfes und nahm mir dann eine kleinere Portion als sonst.
Nachdem alle fertig und vom Tisch aufgestanden waren, machte ich eine Tupperdose mit dem Rest für Daniel fertig. Er hatte es verdient, insbesondere wenn die anderen erst gar nicht auftauchten und das Essen verschmähten. Daniel hatte zugenommen, seit ich ihn die Woche zuvor zum ersten Mal wieder gesehen hatte – wie ein streunender Hund, dessen Fell durch die Pflege eines neuen Herrchens wieder glänzt. Er war zwar noch immerdünn, doch sein Gesicht war nicht mehr so eingefallen. Meine Lebensmittelspenden hatten ihm offenbar gut getan, doch Meredith Divines Truthahn à la King wäre sicher das Höchste der Gefühle.
Ich versteckte die Dose hinter der Milch, um sie Daniel nach unserer Spritztour als Überraschung zu präsentieren. Dann zog ich los, um mich mit ihm zu treffen.
Abend
Ich konnte sehen, wie der Walnussbaum im Wind schwankte und ächzte, und entschied mich daher, im vorderen Wohnzimmer auf Daniel zu warten. Mit meinem Geschichtsbuch setzte ich mich aufs Sofa – Daniel kam schließlich
immer
zu spät – und nutzte die Gelegenheit, um ein paar Hausaufgaben zu machen. Doch als ich alles Erforderliche für die darauf folgende Woche gelesen hatte, überkam mich das schleichende Gefühl, dass Daniel nicht kommen würde. Irgendetwas stimmte nicht.
Das Haus war still. Mom und James waren schon vor Stunden zu Bett gegangen, Dad war schließlich auch nach Hause gekommen, aber gleich in seinem Arbeitszimmer verschwunden, und Charity wollte bei Mimi Dutton, ihrer Freundin von nebenan, übernachten. Doch ich konnte mich trotzdem nicht mehr konzentrieren, da das Rauschen in meinem Kopf mir ständig sagte, auch Daniel müsse eigentlich wissen, dass zweiundzwanzig Uhr wohl kaum als ›nach dem Abendessen‹ durchgehenkonnte. Ich hätte es schlichtweg als Nacht bezeichnet und wäre in mein Bett gekrochen, wenn dieser Gedanke nicht von so einem unheimlichen Gefühl begleitet gewesen wäre.
Ich stand vor dem Fenster, als ich bemerkte, wie sich nahe dem Walnussbaum etwas im Gras bewegte. Dann sah ich noch eine Bewegung und fragte mich, ob die Katze der Duttons vielleicht herausgekommen war. Ich fürchtete mich vor dem Gedanken, dass Mimis Katze etwas zustoßen könnte, womöglich ähnlich dem, was Daisy passiert war, und beschloss, etwas zu unternehmen. Ich warf mir eine Wolldecke über die Schultern und ging hinaus.
Vorsichtig schlich ich an die Seite des Hauses, um die Katze nicht zu verscheuchen. Doch als ich näher kam, wurde mir klar, dass dieses zusammengekauerte Etwas so groß war, dass es sich nur um einen Menschen handeln konnte.
»Daniel?«
Er trug dieselben Sachen wie zuvor – eine dunkelblaue Jeans und ein rotes, langärmeliges Hemd, das ich ihm gegeben hatte. Er saß da mit angezogenen Beinen und hatte die Hände um die Knie geschlungen. Ohne zu blinzeln starrte er auf Vorderfront seines alten Zuhauses.
»Daniel, was machst du hier? Ich habe auf dich gewartet.«
»Ich gucke nur«, sagte er. »Das Haus gefällt mir in Blau viel besser. Bei Gelb hab ich immer das Gefühl, dass drinnen irgendwas verfault.«
»Wo ist deine Jacke?«, fragte ich zitternd und wünschte mir, ich hätte selbst eine angehabt. Es war jetzt definitiv schon fast Dezember.
Daniel antwortete nicht. Die ganze Zeit starrte er auf das Haus, in dem er einmal gelebt hatte. Ich setzte mich neben ihn in das vertrocknete Gras und legte einen Teil der Decke über seine Beine.
Daniel schniefte. »Ich kann das nicht tun.«
»Was denn?«
»Das hier. Das Ganze.« Er atmete tief ein und legte sein Kinn auf die Knie. Im Licht des Mondes waren seine Umrisse weiß und sanft. »Ich weiß nicht, wie ich etwas anderes sein kann, als das, was ich bin.« Er umklammerte seinen Anhänger, fast so, als ob er ihn abreißen wollte.
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