Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
nicht länger zurückhalten konnte. Vielleicht war es die Antwort, die er in meinem Kuss gesucht hatte.
»Daniel, ich lie…«
»Nein«, flüsterte er. In meinem Nacken spürte ich seinen heißen Atem. »Sag es nicht, bitte.«
Doch ich konnte nicht anders. Er musste wissen, was ich fühlte. Ich wollte unbedingt, dass er es wusste.
»Ich liebe dich.«
Daniel erbebte. Ein tiefes, grollendes Knurren erklang in seiner Kehle. »Nein!«, rief er dann und stieß mich von sich.
Auf allen vieren schwankte Daniel ein paar Schritte zurück.»Nein! Nein!« Er umklammerte seinen Nacken, wie um den Steinanhänger festzuhalten. Doch er war nicht mehr da. Er war in meiner Hand. Das Lederband war zwischen meinen Fingern zerrissen, als er mich weggestoßen hatte.
Meine Hände zitterten, als ich es ihm reichte.
Er griff nach dem Anhänger und zitterte jetzt so heftig, als ob in seiner Brust ein Erdbeben ausbräche. Seine Augen flammten hell auf wie zwei Monde. Er nahm den Anhänger so fest in die Hand, dass er sich verletzt hätte, wenn der Stein scharf gewesen wäre. Dann wich er zurück. Das Licht in seinen Augen wurde matt. Er atmete so schnell und heftig, als wäre er einen Marathon gelaufen.
»Ich kann das nicht tun«, keuchte er.
»Daniel?« Ich krabbelte zu ihm hinüber.
Doch er wich noch weiter zurück. Schweißperlen bedeckten seine Stirn. Als ein Wagen in die Einfahrt bog, sprang Daniel auf. Ganz leise flüsterte er etwas, doch aufgrund des lärmenden Motors konnte ich ihn kaum verstehen. Ich glaubte zu hören: »Du kannst es nicht sein.«
Pete Bradshaw sagte irgendetwas, als Jude und April aus dem Auto stiegen. Dann war das Lachen eines Mädchens zu hören. Es klang wie Jenny Wilson.
»Ich kann das nicht.« Daniel zog sich in den Schatten zurück und beobachtete das Auto. »Ich könnte niemals darum bitten.«
Ich sah zu Pete hinüber, der Jude und April zum Abschiedzuwinkte. Als ich mich wieder umdrehte, war Daniel bereits verschwunden.
Du könntest niemals worum bitten?
Kurz vor Mitternacht
Ich versteckte mich hinter dem Baum, während Jude und April auf der Schaukel saßen und sich langwierig voneinander verabschiedeten. Ich zog die Beine an und vergrub meinen Kopf zwischen den Knien. Ich versuchte, nicht mehr zu zittern. Ich versuchte, nicht mehr an diesen Kuss zu denken. Ich versuchte, nicht mehr an Daniels Reaktion auf mein Geständnis zu denken. Und an diesen erschrockenen Ausdruck in seinen Augen. In meinem Kopf wiederholten sich Daniels Worte wieder und wieder. ›Ich könnte niemals darum bitten.‹ ›Ich kann das nicht tun.‹ ›Ich bin kein Held.‹ ›Dein Bruder weiß es.‹
Was wusste mein Bruder?
Das war es also. Ich musste mit Jude reden. Keine Ablenkung vom Thema mehr. Nicht länger so tun, als ob gar nichts wäre. Ich musste einfach wissen, was zwischen den beiden vorgefallen war. Was konnte ich für Daniel tun? Und wie konnte ich ihm helfen, wenn ich nicht genau wusste, was sein Gewissen so sehr belastete?
Wenn ich Jude bloß allein erwischen könnte. Aprils Wagen stand in der Einfahrt, doch es dauerte eine gute halbe Stunde, bevor sie sich auch nur einen Zentimeter darauf zu bewegten. Ich wickelte mir die Wolldecke umdie Ohren, um das Geräusch ihrer Küsse nicht hören zu müssen. Jedes Mal, wenn sie Luft holten, gab April ein leise Schnurren von sich.
Ich musste eingedöst sein, denn die fluoreszierenden Zeiger meiner Armbanduhr näherten sich Mitternacht, als ich schließlich Aprils Wagen aus der Einfahrt fahren hörte.
Jude wollte gerade ins Haus gehen, als ich ihn rief.
Ruckartig wandte er sich um. »Grace, wie lange bist du schon hier?«, fragte er und wischte sich mit dem Handrücken über seinen Mund.
»Nicht lange«, erwiderte ich und zog die Wolldecke enger um meine Schultern, um die an meinem Hals aufkeimenden roten Flecken zu verbergen. »Ich komme gerade von den MacArthurs. Ich war Babysitten.«
»Ach so.« Er blickte auf meine Wolldecke. »Alles in Ordnung?«
»Ich muss dich etwas fragen …« Ich trat einen Schritt näher auf ihn zu. »Ich muss dich etwas zu Daniel fragen.«
Er klimperte mit den Schlüsseln in seiner Hand. »Was denn?«
»Ich möchte wissen, was zwischen euch vorgefallen ist. Warum du ihn so sehr hasst.«
»Es interessiert dich also?«, grunzte er. In seiner Stimme lag eine Spur Genugtuung. »Wurde ja auch mal Zeit.«
»Ich hab dich tausend Mal gefragt.
Du
wolltest doch nicht darüber reden.« Ich trat auf die Veranda. »Es ist
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