Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
Vorgabe überlassen, dass ich von meinem Zimmer aus nicht ins Internet ging. Im Web herumzusurfen war ausschließlich auf den Computer im Wohnzimmer beschränkt, wo Mom regelmäßig die aufgerufenen Seiten kontrollieren konnte. Doch heute Nacht war eine Ausnahme. Ich musste etwas wissen. Und ich wollte nicht, dass jemand sah, was ich tat.
Ich wartete, bis der Computer hochgefahren war, und loggte mich ins Internet ein. Ich rief Google auf und tippte ›Hunde des Himmels‹ in die Suchleiste. Der Cursor verwandelte sich in eine kleine Sanduhr, und ich wartete weiter. Endlich zeigte die Seite verschiedene Treffer zu
› Hund
des Himmels‹, alle bezogen sich auf ein Gedicht eines bereits verstorbenen katholischen Mannes, der darüber geschrieben hatte, wie die Gnade Gottes die Seelen der Sünder aufspürt. Interessant, doch nicht das, wonach ich suchte. Hatte ich wirklich erwartet, eine Website über die verborgene Kolonie von Daniels Vorfahren zu finden?
Ich wollte mich schon wieder ausloggen, als mir eine andere Idee kam. Ich löschte meine Suchanfrage undtippte: U-r. Mit einem Mal tauchten die Worte ›Urbat, sumerisch‹ in der Suchleiste auf. Irgendjemand hatte bereits meinen Computer benutzt, um Urbat nachzuschlagen. Ich klickte auf ›Suche‹ und eine Auflistung sumerisch-englischer Wörterbücher erschien auf dem Bildschirm. Ein Eintrag war lila markiert, während die anderen weiter in Blau leuchteten. Ich klickte auf den Eintrag und fand eine Auflistung sumerischer Wörter über alles Mögliche, von Vampiren über Vernichter bis hin zu bösen Geistern. Ich scrollte weiter hinunter und überflog die Wörter, bis ich auf eines stieß, dass ich erkannte.
Kalbi. Daniels Nachname. Englische Bedeutung: Hunde.
Doch bewies das Daniels Behauptung? Immerhin Hunde. Ich las mir die Wörterliste weiter durch und stieß auf ein anderes bekanntes Wort.
Urbat.
Ich sah mir die englische Übersetzung an. Sie lautete nicht ›Hunde des Himmels‹.
Ich schnappte nach Luft. Ich trieb nicht länger in einem Meer aus Worten und Anschuldigungen. Ich sank hinab. Tief hinab – und konnte nicht mehr atmen.
Urbat … Hunde des Todes.
Daniel hatte gelogen. Er hatte gelogen, und Jude wusste es. Es war so etwas Kleines, nur die Bedeutung eines Namens. Doch wenn Daniel glaubte, mich deswegen anlügen zu müssen, stellte sich die Frage, was er mir ansonsten alles verschwieg.
›Dieses Monster ist nicht nur ein Dieb und Mörder, sondern auch ein Lügner.‹
Konnte es einen Funken Wahrheit, egal wie klein, in Judes Worten geben? War Daniel tatsächlich für all diese Sachen verantwortlich? Was immer auch zwischen Daniel und meinem Bruder passiert war, es musste ziemlich schrecklich für meinen Bruder gewesen sein, dass er nach den ganzen Jahren immer noch so verletzt und wütend war. Doch ein Mordversuch?
Ich musste selbst mit Daniel reden. Ich musste ihn fragen, was wirklich passiert war. Ich sah nur diese einzige Möglichkeit, um ihnen zu helfen. Es war die einzige Möglichkeit, um alles wieder zusammenzuflicken.
KAPITEL 17
Wolf im Schafspelz
Sonntagabend
Zwei Tage später steckte ich den Schlüssel in das Schloss des Kellerapartments in Maryanne Dukes Haus. Ich hatte geklopft und geklopft, aber keine Antwort bekommen. So war es auch besser. Daniel hätte mich sonst vielleicht gar nicht reingelassen. Das Schloss bewegte sich, und ich schob die Tür auf.
Ich schaute zurück auf die schmalen Betonstufen, die in den Keller führten. Ich hatte mich an der Vorderveranda vorbeigeschlichen, wo ich so oft mit Maryanne gestanden hatte, und war direkt zum Eingang des Apartments auf der Rückseite des Hauses gegangen. Es war komisch, so nah an dem Ort zu sein, wo Maryanne gestorben war – fast, als ob sie mich beobachtete. Als ob
etwas
mich beobachtete.
Die ganze Zeit musste ich daran denken, dass Lynn Bishop am Vormittag in der Sonntagsschule, wo sie unentwegt geplappert hatte, von den Haustieren drei verschiedener Familien erzählt hatte, die alle über das Wochenende verschwunden waren. Alle Familien wohnten in Oak Park.
Ich betrat das Apartment und verriegelte die Tür hinter mir. War ich eigentlich verrückt, hier herumzulaufen?
Doch es war die einzige Lösung, die mir eingefallenwar. Daniel war seit Freitag nicht mehr bei uns gewesen. Ich hatte auch nicht damit gerechnet. Nicht nach dem, was passiert war, nachdem wir uns geküsst hatten. In der Schule konnten wir uns unmöglich unterhalten. Doch trotzdem: Es wurde
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