Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
du ein …?«
»Ein Wolf in Verkleidung eines Jungen?« Daniel scherzte nicht. »Ich bin eigentlich ein Mischling. Meine Mutter war menschlich. Mein Vater war ein Kalbi. Er war das Biest.« Daniel sah zu mir auf. »Es stimmt übrigens, dass die Urbats in Rudeln leben. Sie leben zusammen, um sich zu schützen und weil sie seelenverwandt sind.« Er spielte mit seinem Anhänger. »Viele von ihnen versuchen, den Wolf unter Kontrolle zu halten; anderen gefällt der Geschmack des Bluts. Mein Vater gehörte zur letzteren Gruppe. Er forderte den Alpha-Wolf in seinem Rudel heraus und unterlag ihm. Der Alpha-Wolf hat ihn dann verbannt, anstatt ihn in Stücke zu reißen. Das war ein großerFehler. Für eine Weile wanderte mein Vater ziellos herum. Doch der Wolf weiß instinktiv, dass er ein Rudel braucht, eine Familie. Schließlich landete er in Rose Crest, wo er eine Frau auswählte, die er beherrschen konnte. Er versuchte, als normal Sterblicher mit ihr zu leben. Doch dann erschien ich auf der Bildfläche. Wahrscheinlich hat er gespürt, dass er mich nicht so leicht kontrollieren konnte … und das machte ihn wahnsinnig. Ich war es, der ihn wieder auf die Jagd trieb.«
»Dein Vater«, warf ich ein und wagte kaum weiter zu fragen. »Er war das Markham Street Monster, nicht wahr?« Ich dachte daran zurück, wie sein Vater immer den ganzen Tag lang geschlafen hatte. Wie er nahe dem Obdachlosenheim in einem Lagerhaus auf der Markham Street nachts gearbeitet hatte. Und wie alle diese seltsamen Dinge ungefähr zu der Zeit aufhörten, als er die Stadt verlassen hatte. »Er hat all diese Menschen getötet.«
Daniel ließ seinen Kopf noch weiter sinken. Er musste mir nicht antworten.
»Und du bist also auch mit diesem Wesen des Werwolfs auf die Welt gekommen?«
Daniel griff nach unten und hob ein paar Scherben des zerbrochenen Tellers auf. Er legte sie auf seine offene Handfläche. »Der Wolf in mir war nicht so stark, als ich jünger war, wahrscheinlich weil ich nicht reinrassig bin. Gabriel sagt, dass es ein paar Nachfahren von den Hunden des Himmels gibt, deren Blut so sehr vermischt ist, dass sie so gut wie gar nichts davon merken.« Er schloss seine Hand um die Glasstückchen und drückte zu. Dannzuckte er zusammen und öffnete die Hand wieder. Sie blutete. »Damals kannte ich die Wahrheit über meine Familie noch nicht. Ich wusste nur, dass mit meinem Vater etwas nicht stimmte. Und dabei entdeckte ich, dass ich schneller gesund wurde als normale Menschen. Ich stellte fest, dass ich mich selbst heilen konnte.«
Er schloss seine Augen und schürzte die Lippen. Es schien, als saugten die Schnitte in seiner Hand das Blut wieder auf und verheilten dann zu schmalen schartigen Narben. Nur ein paar rosa gefärbte Glasstückchen blieben auf seiner Hand zurück.
»Doch als ich älter wurde, spürte ich, wie das Monster in meinem Inneren tobte. So gut es ging, versuchte ich es zu bekämpfen. Doch ich habe versagt. Der Wolf hatte auch mich überwältigt. Und mich zu einem Biest wie mein Vater gemacht.«
»Aber wenn der Wolf dich überwältigt hat, dann heißt das doch, dass du …« Ich dachte an Jude, an die Narben auf seinem Gesicht, auf seinen Händen und die Dinge, die er Daniel vorwarf. »Das ist also passiert. Du hast versucht, Jude zu verletzen, als der Wolf in dir die Kontrolle übernahm. Deswegen hat er soviel Angst vor dir.«
Daniel schloss seine Faust wieder um die Glasstücke. Seine Knöchel wurden erst lila, dann weiß. Blut lief an seinem Handgelenk herab. Ich wandte mich ab und studierte die kotzrosa Gänseblümchen an der Wand.
»In der Nacht, als ich damals von zu Hause weggelaufen bin, bin ich in die Pfarrkirche eingebrochen. Es war nach der Spendensammlung für den Feuerschaden, undich wusste, dass dein Vater immer eine Weile damit wartete, die Spenden zur Bank zu bringen. Ich war damals schon ziemlich stark. Es dauerte nur eine Sekunde, das Schloss an der Außentür zur Galerie aufzubrechen. Ich wollte einfach nur rein und dann ganz schnell wieder mit dem Geld verschwinden, doch gerade als ich gehen wollte, tauchte dein Bruder auf. Er sah mich mit der Geldkassette in der Hand und befahl mir, sie zurückzubringen. Er wirkte so selbstgerecht, und das machte mich krank. Der Wolf in mir sagte, dass alles seinetwegen passierte. Dass ich nicht mal an diesem Ort wäre, wenn es nicht um seinetwillen gewesen wäre.«
»Was meinst du damit?«
»Ich spürte immer den Drang des Wolfs nach einem Rudel. Doch ich wollte
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