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Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Titel: Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bree Despain
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hinabflossen und sich mit den Wasserstrahlen aus der Dusche vermischten, konnte ich nicht länger an mich halten. Ich schluchzte in den Wasserstrom hinein und hoffte nur, dass mich niemand durch das dumpfe Geräusch des Ventilators hören konnte. Es schien, als ob ich plötzlich alle Tränen vergoss, die ich im Laufe der Zeit zurückgehalten hatte. Ich weinte über den Moment, als Don Mooney meinem Vater seinen silbernen Dolch an die Kehle gehalten hatte. Ich weinte über die vielen Augenblicke, indenen ich überhört hatte, wie Vater Kalbi auf Daniel losgegangen war. Über den Tag, an dem seine Mutter ihn uns weggenommen hatte. Darüber, dass Charity und ich ohne Erklärung drei Wochen zu unseren Großeltern geschickt worden waren. Ich weinte über Maryannes Tod und James’ Entführung. Und über Jude.
    Doch hauptsächlich weinte ich über das, was ich nun über mich selbst erfahren hatte.
    Ich fühlte mich wie eine Betrügerin. Mein Vater hatte gesagt, mein Name bedeute Gnade, Hilfe und Führung. Doch er hatte Unrecht. Grace Divine bedeutete einfach nur Unbesonnenheit, ungefragte Einmischung und Enttäuschung. Alles, was ich anfasste – alles, was ich zu retten versuchte –, fiel auseinander und zerrann mir zwischen den Fingern.
    Warum hatte ich unbedingt etwas erfahren wollen, wieso war ich nicht einfach unwissend und naiv geblieben? Warum konnte ich nicht zurückgehen und mich selbst daran hindern, dieses ganze Chaos zu fabrizieren?
    Wenn ich mich aus allem rausgehalten und mich in diesen ganzen Jahren nur um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert hätte, wäre dann alles noch so wie einst? Wäre Daniel noch immer der blonde Junge von nebenan, wenn ich nichts über seinen Vater erzählt hätte? Wären Daniel und Jude immer noch die besten Freunde? Wäre mein Bruder unbeschadet davongekommen? Wäre Daniel menschlich?
    Doch andererseits, wie hätte ich unterlassen können, etwas zu tun? Daniels Leben wäre noch immer vollerMissbrauch und Qual, womöglich wäre er überhaupt nicht mehr am Leben. Und wie hätte ich ihm nicht helfen können, als er zurückkam?
    Er bedeutete mir immer noch so viel, selbst jetzt, nachdem ich die Wahrheit kannte.
    Allerdings konnte ich nicht glauben, dass ich mein Verlangen nach Daniel höher stellte als meinen eigenen Bruder. Ich hatte den Schmerz in Judes Gesicht gesehen, als ich Daniels Namen zum ersten Mal beim Essen erwähnte. Ich hatte ihm direkt in die Augen geblickt und versprochen, dass ich die Sache nicht weiter verfolgen und mich aus seinen Geheimnissen heraushalten würde, doch stattdessen zog ich los und brachte den einzigen Menschen, der ihn je verletzt hatte, zurück in unsere Familie. Meine Gefühle für Daniel hatten diesen Schmerz, diese Angst und diese Wut hervorgerufen, die meinen Bruder langsam aber sicher überwältigten.
    »Ich hasse dich«, sagte ich in den Wasserstrahl hinein und schlug meine nasse Faust gegen die Duschwand. »Ich hasse dich, hasse dich, hasse dich.« Ich stellte mir vor, ich spräche direkt zu Daniel.
    Das Problem war nur – ich tat es nicht. Ich hasste Daniel keineswegs, obwohl ich wusste, dass ich es hätte tun müssen.
    Wieder einmal hatte ich meinen Bruder verraten.
     
    Ich stand in der Dusche, bis das Wasser kalt wurde. Selbst dann blieb ich noch stehen und ließ mir das eisige Wasser über die Haut rinnen, nur um etwas anderes zu spüren alsmeine Schuld. Dann taumelte ich aus der Dusche und hielt meine zitternden Hände gegen meinen Bauch gepresst. Ich schaffte es gerade noch auf die Toilette und ließ die wenige Flüssigkeit heraus, die in meinem Körper noch vorhanden war. Ich fühlte mich verdorrt und ausgetrocknet und kroch in meinen feuchten Bademantel gewickelt zurück ins Bett.
    Das Haus war still. Alle mussten ausgeflogen sein. Die Ruhe erdrückte mich fast, ließ meinen Kopf nur noch heftiger pochen. Ich schloss meine brennenden Augen und ließ mich von der Stille einwickeln. Ich schlief ein, wachte wieder auf und versuchte einen Ausgleich für die zahlreichen schlaflosen Nächte zu finden. Doch jedes Mal, wenn meine Augen erst zufielen und sich dann wieder öffneten, fühlte ich mich ausgedörrter als je zuvor.
    Ich blieb zwei Tage im Bett.
     
    Mittwoch
     
    Meine Familie ließ mich in Ruhe. Ich war überrascht, doch dankbar, dass meine Mutter nicht versuchte, mich gleich wieder in die Schule zu scheuchen. Ab und an schickte sie Charity mit einer Mahlzeit zu mir. Charity setzte das Tablett gleich an der Tür ab und

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