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Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Titel: Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bree Despain
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»Ich meinte den Anderen.«
     
    Später am Abend
     
    Ich durchsuchte die Vorratskammer gerade nach Aspirin oder etwas anderem, das meine dröhnenden Kopfschmerzen beenden könnte, als ich aus dem vorderen Wohnzimmer ein Heulen hörte. Ich lief los um nachzusehen und fand Charity, die ihre Dokumentation über die Wölfe ansah. Es war dieselbe Stelle wie beim letzten Mal: Zwei Wölfe ließen sich gerade ihre frische Beute schmecken. Das Ganze kam mir extrem morbid vor.
    »Wozu siehst du dir das immer noch an?«
    »Mein Bericht ist am Freitag fällig«, sagte Charity. Die Weihnachtsferien auf ihrer Mittelschule begannen erst in drei Tagen. »Ich wollte in eine wolfige Stimmung kommen, bevor ich ihn beende.«
    ›Wolfige Stimmung‹. Sie hatte keine Ahnung.
    Ich stand da und betrachtete die Misere des kleinen Omega-Wolfs, der verzweifelt nach einem Bissen gierte, welcher ihm jedoch verweigert wurde. Mein Herz zog sich zusammen, als der Alpha nach seiner Kehle langte, ihn in den Schnee warf und den flehenden kleinen Wolf anknurrte. Dann rollte sich der kleine Omega auf den Rücken und demonstrierte seine Unterwerfung, indem er seinen Bauch und seinen Hals darbot. Ich fragte mich, wie jemand überhaupt überleben konnte, wenn er sein ganzes Leben lang so behandelt wurde.
    Ich musste an Daniel und seinen Vater denken. Für jede Kleinigkeit hatte sein Dad ihn angeschrieen und angeknurrt. Ich erinnerte mich daran, wie es war, wennDaniel zu uns zum Abendessen gekommen war und dann immer zögernd auf seinen Teller gestarrt hatte, während wir anderen schon aßen – bis mein Vater ihn scherzend aufgefordert hatte, nicht so schüchtern zu sein. Ich erinnerte mich an seine blauen Flecken. Ich erinnerte mich, wie es sich angehört hatte, als sein Vater ihn bis zur Besinnungslosigkeit prügelte, weil er im Haus gemalt hatte und dabei seinen Anweisungen nicht gefolgt war.
    Wie hatte Daniel das Monster in seinem Vater überleben können?
    Doch dann wurde mir klar, dass es gar nicht so gewesen war. Er hatte zugelassen, dass das Monster ihn überwältigte. Der Schmerz war zu groß gewesen, und auch er hatte sich schließlich auf den Rücken gerollt und aufgegeben. Es war ein Wunder, dass er es überhaupt so lange ertragen hatte.
    Und jetzt stand ihm selbst ein Leben als Monster bevor. Selbst wenn er starb, gab es keine Rettung. Für alle Ewigkeit wäre er als Dämon verdammt.
    Ich fragte mich, ob Daniel dieses Schicksal verdient hatte. Auf einmal schien mir alles ganz anders zu sein, so als ob ich ein Gemälde von Seurat plötzlich aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtete. Daniel hatte unbestreitbar etwas Falsches getan. Doch musste er mit diesem Fehler wirklich für immer leben? Konnte er seine Schuld nicht tilgen? Konnte das nicht jeder? Darüber sprach Dad doch in allen Predigten. Es war die Bedeutung meines Namens. Grace – die Gnade.
    Oder war es so, dass einige Seelen niemals gerettet werdenkonnten? Traf das nicht auf Dämonen zu? Waren sie nicht gefallene Engel, für immer in die Hölle verbannt? Wenn Daniel sich dem Blutrausch ergab – war das dann solch ein unverzeihlicher Akt, dass er damit auch zu den gefallenen Engeln gehörte? Doch vielleicht war er ja gar kein wirklicher Dämon. Vielleicht war der Dämon nur in ihm? Hielt der Wolf Daniels Seele in seinen Klauen gefangen, in einer Art Vorhölle, die sie von der Erlösung abhielt?
    Daniel hatte es selbst gesagt: Der Wolf hatte seine Seele gekidnappt.
    Doch bedeutete das nicht, dass es einen Preis gab, den man bezahlen konnte? Konnte man etwas tun, um seine Seele zu befreien und ihn zu einem normalen Menschen zu machen? Damit die Gnade, die Anmut, die Gunst ihn umgab und nicht die Dunkelheit?
    Dad hatte gesagt, dass er Daniel nicht länger helfen könne. Es läge nicht mehr in seinen Händen. Doch er hatte nicht gesagt, dass es unmöglich sei. Er hatte nicht gesagt, dass es keine Heilung gäbe. Er hatte mir das Buch gegeben. Er hatte es in
meine
Hände gelegt. Er hatte mir gesagt, dass ich eine Wahl treffen müsse.
    Ich rannte hinauf in mein Zimmer und öffnete meine Schreibtischschublade – das Buch war verschwunden. Das Herz pochte mir bis zum Hals. Ich durchwühlte die Sachen auf meinem Schreibtisch und hoffte, das Buch befände sich zwischen meinen Schulbüchern. Ich riss Decke und Kissen von meinem Bett. Es musste doch irgendwo sein!
    Dann kam ich mir plötzlich sehr dumm vor und griff nach meinem Rucksack. Das Buch hatte seit meinem Bibliotheksbesuch darin

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