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Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Titel: Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bree Despain
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gelegen. Ich zog es heraus; ein paar weitere brüchige Seiten hatten sich aus dem Einband gelöst.
    Vorsichtig blätterte ich zu dem Brief, den ich zuletzt gelesen hatte. Die Hälfte davon fehlte, sie hatte sich in der feindlichen Umgebung meines Rucksacks fast aufgelöst. Mein Vater und dieser Priester würden mich bestimmt umbringen. Ich blätterte zur vorletzten markierten Stelle, die ich noch nicht gelesen hatte. Katharines Bruder hatte die Idee mit den Mondsteinen erwähnt. Hatte er rechtzeitig einen Stein gefunden, um seiner Schwester nichts anzutun? Hatte er genügend Zeit zur Verfügung, um eine Heilung zu finden?
     
    Oh Katharine,
    ich bin verloren.
    Der Wolf hat mich in seinen Klauen.
     
    Meine Finger schlossen sich um das Buch. Ich wollte es am liebsten wegwerfen, zwang mich aber, weiterzulesen.
     
    Ich spüre den Geruch von Kampf und Blut aus der Stadt hereinströmen, und ich giere danach. Was mich in der Vergangenheit abstieß, weckt nun meinen Appetit.
    Der Wolf macht Jagd auf meine Liebe zu Dir. Er befiehlt mir heimzukehren. Ich lege diesem Brief einen silbernen Dolch bei. Wenn ich in Wolfsgestalt zu Dir komme, soll
Saint Moon versuchen, mich zu töten. Ich habe nicht den Mut, es selbst zu tun. Simon soll nicht zögerlich sein. Er muß den Dolch tief und fest in das Herz des Wolfs stoßen. Nur so bist Du sicher. Saint Moon muß unser Volk vor diesem Fluch bewahren.
    Oh, Katherine ! Ich sollte nicht darum bitten, muß es aber dennoch tun. Wenn Du den Mut aufbringst, dann stoße Du selbst den Dolch in mein wölfisches Herz. Denn der blinde Prophet hat mir enthüllt, daß meine Seele nur dann den Klauen des Dämons entrissen wird, wenn Du mich tötest. Der Wolf in meinem Innern strebt nur aus Selbsterhaltungstrieb danach, die zu töten, die ich liebe. Doch meine Seele ist nur dann befreit, wenn ich in einem Akt wahrer Liebe getötet werde – von dem Menschen, der mich am meisten liebt.
     
    Da stand er also zu lesen. In verblichenem Braun auf eine vergilbte Seite gekritzelt. Der Grund, warum sich alles verändert hatte, als ich Daniel meine Liebe gestand. Das war es, worum Daniel mich niemals bitten konnte. Der Grund, warum er all diese schrecklichen Dinge gesagt hatte. Der Grund, warum er versucht hatte, mir Angst zu machen.
    In jener Nacht unter dem Walnussbaum hatte er die Wahrheit erkannt. Mein Vater musste es ihm an jenem Nachmittag gesagt haben. Deswegen war Daniel so verzweifelt gewesen.
    Er hatte befürchtet, es könne keine Heilung für ihn geben, weil er dachte, dass ihn niemand liebe. Doch ichglaube, am meisten fürchtete er sich davor, dass ich es tat.
    Ich war diejenige.
    Und er könnte mich niemals bitten, ihn zu töten.

KAPITEL 23
Wahrheit
     
    Dreißig Minuten später
     
    Ich saß mit dem aufgeschlagenen Buch im Schoß auf dem Bett, als eine kleine braune Spinne über die brüchigen und vergilbten Seiten krabbelte. Die Spinne ruhte sich einen Moment lang aus und kletterte dann auf meinen Handrücken. Ich zuckte nicht zusammen und wischte sie auch nicht fort. Ihre winzigen Beinchen kitzelten auf meiner Haut, als ich sie meinen Arm hochkrabbeln ließ.
    Dann saß die Spinne auf meiner Schulter, nur Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Ich hob sie vorsichtig auf und hielt sie in meiner geschlossenen Hand gefangen. Ich hätte meine Faust nur leicht zusammendrücken müssen, um die Spinne zu zerquetschen.
    Ich stellte mir vor, sie in meiner Handfläche zu zerdrücken: ein brauner, zähflüssiger und warmer Überrest.
    Ich erschauderte und öffnete die Hand ein wenig. Die Spinne versuchte, sich aus meinem Griff zu befreien. Ich schloss die Hand wieder und versperrte ihr den Weg.
    Töten war falsch. War das nicht eine dieser elementaren Wahrheiten? ›Du sollst nicht töten‹ und diese ganzen anderen Gebote. Aber sie trafen doch nur auf Menschen zu, oder?
    Ich musste an Mr MacArthur denken, dessen Spaniel damals im Frühling Welpen bekommen hatte. Ich musstean Daisy denken, ganz winzig und mit nur drei Beinen. Sie war so klein und hilflos gewesen. Mr MacArthur wollte sie beseitigen – um ihrer selbst willen. Das war mir so gänzlich falsch erschienen. Doch vielleicht hatte er recht gehabt. Vielleicht wäre es besser für sie gewesen, auf diese Art zu gehen. Besser als von meinem Nachbarn nebenan in Stücke gerissen zu werden. Vom Markham Street Monster.
    Doch dann wäre sie nicht
meine
Daisy gewesen.
    Die Spinne zuckte in meiner Hand. War es nicht ganz normal, Ungeziefer zu töten?

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