Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
allein gehen.«
»Dann rufe ich April oder Pete Bradshaw an«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass die beiden noch beim Hockeyspiel waren.
»Ich kann Sie bringen«, ertönte Don Mooneys Stimme durch die Vorhalle. Er hielt einen großen Brownie in der Hand, und ein Klumpen Schokolade klebte an seinem Kinn. »Es macht mir nichts aus.«
»Das wäre sehr nett, Don.« Ich stieß die Tür auf. »Mach’s gut, Daniel.«
KAPITEL 22
Alpha und Omega
Der Heimweg
Ich hielt mich an Dons bärenhaftem Arm fest, als ich auf die Straße hinauswankte. Mein Atem bildete einen dicken weißen Nebel vor meinem Gesicht, und ich spürte eine Migräne hinter meinen Augen aufziehen – doch es war nicht deswegen, dass ich das Sehen so schwierig fand. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich einmal glücklich darüber sein würde, ihn als meine Begleitung zu haben, doch jetzt dankte ich im Stillen Gott, dass Don da war, um mich sicher nach Hause zu bringen.
Ich spürte gleich, dass er mit mir reden wollte; er seufzte und stöhnte, so als ob er versuchte, den Mut zum Sprechen aufzubringen. Wir waren schon fast an unserer Veranda angelangt, als er schließlich etwas sagte. »Kommen Sie morgen mit und helfen uns bei der Auslieferung?«
»Nein.« Ich rieb über mein Gesicht und versuchte, die Tränen zu verbergen, die ich sonst immer so gut zurückhalten konnte. »Morgen Abend ist die Weihnachtsparty. Ich habe eine Date.«
»Ach, wie schade«, entgegnete er und trat mit dem Fuß vor die Verandastufen. »Ich hatte gehofft, dass Sie da sein würden.«
»Wieso?«
»Ich wollte gerne, dass Sie es sehen«, sagt er. »Ich habezweiunddreißig Weihnachtsschinken gekauft, um sie der Gemeinde zu spenden.«
»Zweiunddreißig!« Wieso traten mir deswegen noch mehr Tränen in die Augen? »Die müssen ja ein Vermögen gekostet haben.«
»Mein ganzes Weihnachtsgeld und noch ein bisschen mehr«, erwiderte er. »Ich wollte dieses Jahr lieber den Bedürftigen helfen statt Geschenke zu kaufen.«
»Das ist großartig.« Ich musste lächeln, denn ich wusste, dass Don, rein technisch betrachtet, selbst der Kategorie ›bedürftig‹ zuzuordnen war.
»Ich habe aber trotz allem etwas für Sie.« Don kramte in seiner Tasche. »Der Pastor sagt, ich soll bis Weihnachten warten, aber ich möchte, dass Sie es jetzt bekommen. Ich hoffe, Sie fühlen sich dadurch besser.« Er öffnete seine Riesenfaust und präsentierte mir eine kleine Holzfigur.
»Vielen Dank«, sagte ich, wischte die restlichen Tränen fort und betrachtete sein Geschenk. Die Figur war grob geschnitzt, wie von Kinderhänden, doch ich sah, dass es ein geflügelter Engel in einem fließenden Gewand war. »Sie ist wunderschön.« Sie war es wirklich.
»Ein Engel wie Sie.«
Ich versuchte, ein Stirnrunzeln zu unterdrücken. Nach all dem, was ich zu Daniel gesagt hatte, kam ich mir nun zuallerletzt wie ein Engel vor. »Hast du sie mit deinem Messer gemacht?«, fragte ich. »Du hast es nicht zurückgelegt, stimmt’s?«
Don blickte sich um. »Sie werden’s doch niemandem verraten, oder? Versprechen Sie es?«
»Ich verspreche es.«
»Sie sind wirklich ein Engel.« Er umarmte mich und presste dabei die ganze Luft aus meinen Lungen. »Ich würde alles für Sie tun«, fügte er hinzu und ließ mich dann wieder los.
»Du bist wirklich ein guter Kerl, Don.« Ich tätschelte zaghaft seinen Arm und befürchtete schon eine weitere Bären-Umarmung. »Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast. Das wäre nicht nötig gewesen.«
»Ich wollte Sie nicht mit diesem Jungen gehen lassen«, sagte Don und verzog das Gesicht. »Er ist niederträchtig. Er macht schlimme Sachen und nennt mich ›Vollidiot‹, wenn keiner in der Nähe ist.« Dons Gesicht wurde im Schein der Verandalampen ganz rot. »Er hat es nicht verdient, mit Ihnen zusammen zu sein.« Er senkte die Stimme und beugte sich zu mir, als ob er mir ein Geheimnis verraten wollte. »Manchmal glaube ich, dass er vielleicht das Monster ist.«
Dons Anschuldigung überraschte mich – abgesehen von der Monster-Sache. Es fiel mir leichter, Daniel zurückzuweisen, wenn ich wusste, dass er Don verspottete.
»Tut mir leid, dass er dich so behandelt. Aber mach dir keine Sorgen, ich werde sowieso keine Zeit mehr mit Daniel verbringen«, sagte ich und steckte die Engelsfigur in meine Manteltasche.
»Nicht Daniel. Er hilft mit seiner Arbeit Ihrem Vater und Mr Day.« Don schüttelte den Kopf und sprang von der Veranda. Am Ende der Auffahrt blieb er stehen.
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