Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
angetan.« Er brüllte und stürzte sich auf mich. Mit seiner kräftigen Hand packte er meine Kehle. »Du hättest nicht zurückkommen dürfen.«
»Lass sie los, Jude«, sagte Daniel warnend. »Tu ihr nicht weh. Du darfst diesen Weg nicht weitergehen.«
»Diesen Weg, auf den du mich gestoßen hast?« Judes Fingernägel gruben sich in meine Haut, als er meine Kehle zudrückte und mir die Luft abschnitt.
»Ich habe dir vergeben«, krächzte ich mit letzter Kraft. »Wirst du mir jetzt auch vergeben? Wirst du dir selbst vergeben?«
Ich konnte die pulsierende Energie in Judes Hand spüren. Er hätte mich innerhalb einer Sekunde töten können – warum zögerte er jetzt? Ich schaute auf und konnte beinahe den Kampf sehen, der sich in seinem Kopf abspielte. Wieder und wieder wechselte seine Augenfarbe. Sein Gesicht verzerrte sich, die Adern in seinem Hals traten hervor.
»Jude!«, schrie Daniel. Er stand kurz davor einzugreifen. Ich hob die Hand, um ihn aufzuhalten. Dies war der Augenblick der Wahrheit.
Judes Griff löste sich gerade so viel, dass ich keuchend nach Luft schnappen konnte. »Bitte, Jude. Ich weiß, dass du noch irgendwo da drin bist. Du bist mein Bruder.«
»Wir lieben dich, Jude«, sagte Daniel. »Wir wollen dir helfen. Wir wollen, dass du nach Hause kommst. Und zu Hause bist. Du musst nur darum bitten, dann helfen wir dir.«
Judes Griff lockerte sich, ließ mich aber nicht los. »Nach Hause?«, fragte er. »Bei euch klingt es so einfach. Aber ihr wisst gar nicht, wovon ihr redet.«
»Solange du in diesem Käfig bist«, sagte Daniel, »ist das so wie mit einem Drogensüchtigen in der Entzugsklinik. Hier drin zu bleiben, ist eine Kleinigkeit. Der schwierige Teil ist die Rückkehr nach Hause. Ich weiß es genau, weil ich es selbst erlebt habe. Ich weiß, wie es ist, wenn man versucht, zu seinem normalen Leben zurückzukehren. Und ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man sich all den Menschen stellen muss, die man verletzt hat. Wie es ist, mit dieser schrecklichen Stimme im Kopf herumzulaufen, die dich ständig herausfordert. Wie es in jedem Moment darum geht, entweder dagegen zu kämpfen oder aufzugeben.«
Judes Atemzüge wurden nervöser. Die Finger an meiner Kehle zitterten. »Ich weiß nicht …«, sagte er mit schwacher Stimme. »Ich weiß nicht, ob ich stark genug für diesen Kampf bin.«
»Das bist du, Jude«, sagte ich. »Ich weiß, dass du es bist. Und ich bin hier, um dir zu helfen. Wir beide wollen dir helfen. Aber das können wir nur dann, wenn du es zulässt.«
Judes Finger lösten sich von meinem Hals. Er wich zurück und brach auf seiner Pritsche zusammen. Sein ganzer Körper wurde von herzzerreißenden Schluchzern geschüttelt. »Helft mir«, keuchte er. »Ich will das alles nicht mehr.«
Während Daniel den Schlüssel holte, der neben dem Eingang zum Keller an der Wand hing, massierte ich meinen Hals. Er schloss die Tür auf und öffnete sie. Wir liefen zu Jude hinein und nahmen ihn in unsere Arme.
Daniel nahm seinen Mondsteinanhänger ab und hängte ihn Jude um. »Du brauchst ihn mehr als ich.«
Mein Bruder presste den Anhänger an seine Brust, so als wäre er das wertvollste Objekt auf der ganzen Welt.
Ich strich Jude übers Haar und hielt ihn fest, wiegte ihn hin und her, bis er schließlich seine Arme um mich legte. Seine Hand berührte die Narbe an meinem Arm, dort, wo er mich gebissen und mit dem Fluch der Urbats infiziert hatte.
»Es tut mir leid«, flüsterte er. »Es tut mir so schrecklich leid.«
»Ich vergebe dir«, wiederholte ich, weil ich wusste, dass er es noch einmal hören musste. Ich nahm sein Gesicht in beide Hände und hielt es so, dass ich in seine Augen blicken konnte. Sie waren violett und glänzten vor lauter Tränen – aber es waren die Augen, an die ich mich erinnern konnte. Spiegelbilder meiner eigenen Augen. »Alles wird gut«, sagte ich. »Ich verspreche es dir.«
Ich betete inständig, dass dieses Versprechen nicht gebrochen werden würde.
KAPITEL 27
Ankunft
Eine Stunde später
Wir parkten in der Einfahrt hinter Aprils rotem Wagen und Talbots blauem Truck. Im ganzen Haus brannte Licht, und ich war sicher, dass die ganze Versammlung noch da war. Wahrscheinlich schliefen alle wie glückliche fette Hunde nach einem Festessen.
»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe«, sagte Jude, als wir aus dem Auto stiegen. Er kniff die Augen zusammen, so als bereitete es ihm Schmerzen, das erleuchtete Haus anzusehen.
»Zeit, nach Hause zu kommen«, sagte
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