Urbi et Orbi
ich dich fragen, was dich an Father Kealy interessiert?«
»Wir haben seit fünfzehn Jahren kein Wort miteinander gesprochen, und du willst jetzt über Kealy reden?«
»Bei unserem letzten Gespräch hast du mir verboten, j e w ieder von uns zu sprechen. Du sagtest, es gäbe kein uns , sondern nur mich und Gott. Darum hielt ich das für kein gutes Thema.«
»Aber das habe ich erst nach deiner Ankündigung gesagt, dass du wieder zum Erzbischof zurückkehrst und dich ganz dem Dienst für andere weihst als Priester der katholischen Kirche.«
Sie standen zu nah beieinander, und Michener trat tiefer in den Schatten der Kolonnade. Dabei fiel sein Blick auf Michelangelos Kuppel, die den Petersdom krönte und die jetzt in der strahlenden Herbstsonne trocknete.
»Wie ich sehe, besitzt du immer noch das Talent, Fragen geschickt auszuweichen«, sagte er.
»Ich bin hier, weil Tom Kealy mich darum gebeten hat. Er ist kein Dummkopf. Er weiß, wie das Tribunal entscheiden wird.«
»Für wen schreibst du denn gerade?«
»Freiberuflich. Zur Zeit arbeite ich mit ihm zusammen an einem Buch. «
Sie war eine gute Schriftstellerin, vor allem eine ausgezeichnete Lyrikerin. Er hatte sie immer um dieses Talent beneidet, und er wollte wirklich gerne wissen, wie es ihr nach ihrer Zeit in München ergangen war. Das eine oder andere hatte er mitbekommen. Ihre Anstellungen bei europäischen Zeitungen waren befristete Jobs gewesen, nie etwas Längeres, und eine Zeit lang hatte sie sogar in Amerika gearbeitet. Gelegentlich las er ihren Namen unter Artikeln – es waren meist kirchenkritische Essays, nie etwas Großes. Mehrmals hätte er sie beinahe ausfindig gemacht, um einen Kaffee mit ihr zu trinken, aber das ging nun einmal nicht. Er hatte seine Entscheidung getroffen, es führte kein Weg zurück.
»Ich war nicht überrascht, als ich von deiner Ernennun g z um päpstlichen Privatsekretär hörte«, sagte sie. »Als Volkner zum Papst gewählt wurde, dachte ich mir schon, dass er dich nicht gehen lassen würde.«
Er fing den Blick ihrer smaragdgrünen Augen auf und sah, dass sie mit ihren Gefühlen kämpfte. Genau wie vor fünfzehn Jahren. Damals war er ein Priester im Rechtsstudium gewesen, der sich auf sein Examen vorbereitete. Ein nervöser, ehrgeiziger junger Mann, der sein Los mit dem Geschick eines deutschen Bischofs verbunden hatte, in dem viele einen zukünftigen Kardinal sahen. Inzwischen war häufig von Micheners eigener Erhebung in die Kardinalswürde die Rede. Es kam durchaus vor, dass ein Privatsekretär des Papstes unmittelbar aus dieser Funktion heraus das Birett erlangte. Er wollte gerne zu den Führern der Kirche gehören und beim nächsten Konklave in der Sixtinischen Kapelle unter den Fresken von Michelangelo und Botticelli mit seiner Stimme dabei sein.
»Clemens ist ein guter Papst«, sagte er.
»Er ist ein Dummkopf«, entgegnete sie prompt. »Die Herren Kardinäle haben ihn als Platzhalter auf den Stuhl gesetzt, bis einer der ihren genug Unterstützung zusammenbekommt.«
»Woher willst du das denn so genau wissen?«
»Habe ich denn Unrecht?«
Er wandte sich von ihr ab, um seinen Zorn in den Griff zu bekommen, und beobachtete eine Gruppe von Souvenirhändlern am Rande des Platzes. Sie war genauso biestig, wie er sie in Erinnerung hatte, und ihre Worte waren so bitter und beißend wie eh und je. Sie ging auf die vierzig zu, doch bisher hatte die Reife ihre verzehrende Leidenschaftlichkeit nicht gemildert. Ihr Ungestüm hatte ihn schon immer gestört, doch gleichzeitig vermisste er es. In seiner Welt waren Ehrlichkeit und Offenheit Fremdwörter. Er war von Menschen umgeben, die im Brustto n d er Überzeugung behaupteten, was sie keineswegs meinten. So gesehen hatte Wahrhaftigkeit durchaus etwas für sich. Wenigstens wusste man, woran man war, und hatte festen Boden unter den Füßen. Und nicht diesen diplomatischen Sumpf, an den Michener sich inzwischen gewöhnt hatte.
»Clemens ist ein ausgezeichneter Mann, der eine nahezu unmögliche Aufgabe hat«, erklärte er.
»Wenn die gute Mutter Kirche ein klein wenig nachgäbe, wäre es ja vielleicht nicht ganz so schwierig. Dürfte ganz schön hart sein, eine Milliarde Menschen zu regieren, die alle akzeptieren müssen, dass der Papst der einzige Mensch auf Erden ist, der niemals irrt.«
Er wollte sich nicht mit ihr über Dogmen streiten, und schon gar nicht mitten auf dem Petersplatz. In kaum zwei Meter Entfernung kamen zwei Schweizergardisten in ihrer historischen
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