Urbi et Orbi
ein.«
»Truppen nicht, aber Armeen schon. Heute kommen die Ungläubigen in der Gestalt von Reportern und Journalisten. Sie bringen ihre Kameras und Notizbücher mit und arbeiten an der Zerstörung des Fundaments der Kirche, Seite an Seite mit Liberalen und Abtrünnigen. Manchmal, Gustavo, verbündet der Papst sich sogar mit ihnen, so wie Clemens es tat.«
»Gott sei Dank ist er gestorben.«
Diese Antwort gefiel Valendrea sehr, und er wusste, dass es keine leere Floskel war. »Ich habe die Absicht, dem Papsttum seine Würde zurückzugeben. Wo auch immer in der Welt der Papst auftaucht, strömen Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen herbei. Dieses Potenzial sollten die Regierungen fürchten. Ich habe die Absicht, der meistreisende Papst der Geschichte zu werden.«
»Und dafür würden Sie den unverbrüchlichen Beistand des Staatssekretariats benötigen.«
Sie spazierten weiter. »Genau das habe ich gemeint, Gustavo«
Wieder blickte Valendrea auf den gemauerten Fluchtgang und dachte an den letzten Papst, der aus dem Vatikan geflüchtet war – vor einem Einfall deutscher Söldner. Er wusste das genaue Datum – der 6. Mai 1527. Hundertsiebenundvierzig Schweizergardisten waren damals bei der Verteidigung ihres Papstes gestorben. Der Papst hatte seine weiße Kleidung abgelegt, damit keiner ihn erkannte, und war mit knapper Not durch den gemauerten Gang entkommen.
»Ich werde niemals aus dem Vatikan flüchten«, erklärte Valendrea nicht nur Bartolo, sondern geradezu den Mauern selbst. Plötzlich überwältigte es ihn, und er beschloss, Ambrosis Rat zu missachten. »Nun gut, Gustavo, ich werde die Entscheidung Montag bekannt geben. Sie werden zum Staatssekretär ernannt. Dienen Sie mir gut.«
Der alte Mann strahlte. »Sie werden einen hingebungsvollen Diener in mir finden.«
Das erinnerte Valendrea an seinen treuesten Verbündeten.
Ambrosi hatte ihn vor zwei Stunden angerufen und ihm mitgeteilt, dass man ihm Hochwürden Tibors Übersetzungskopie um neunzehn Uhr übergeben werde. Bisher gebe es keinerlei Anzeichen, dass jemand das Schriftstück gelesen haben könnte, und diese Nachricht beruhigte Valendrea sehr.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Achtzehn Uhr fünfzig.
»Haben Sie noch einen Termin, Heiliger Vater?«
»Nein, Eminenz. Ich dachte nur an eine andere Angelegenheit, die sich in diesen Minuten entscheidet.«
68
Bamberg, 18.50 Uhr
M ichener stieg einen steilen Fußweg zum Bamberger Dom St. Peter und Georg hinauf und kam auf einen abschüssigen, länglichen Platz. Unten lag die Stadt als eine Landschaft aus Ziegeldächern und Steintürmen, erhellt von einem Gewimmel von Lichtflecken. Aus dem dunklen Himmel wirbelten unablässig Schneeflocken herab, doch das hielt die Leute nicht davon ab, zum Dom zu strömen, dessen vier Türme mit blauweißem Licht angestrahlt wurden.
Seit mehr als vier Jahrhunderten stellte man in den Kirchen und auf den Plätzen Bambergs im Advent Weihnachtskrippe n a us. Michener hatte von Irma Rahn erfahren, dass der Krippenweg immer im Dom eröffnet wurde und dass nach dem Segen des Bischofs alle in die Stadt ausschwärmten, um zu sehen, was in diesem Jahr an den verschiedenen Orten aufgebaut worden war. Die Leute kamen aus ganz Bayern, und Irma hatte Michener gesagt, dass die Straßen laut und überfüllt sein würden.
Michener warf einen Blick auf seine Uhr. Noch nicht ganz sieben.
Er sah sich um und beobachtete die Familien, die auf das Domportal zumarschierten. Viele Kinder plapperten unaufhörlich über den Schnee, Weihnachten und Nikolaus. Zur Rechten hatte sich eine Gruppe um eine Frau in einem dicken Lodenmantel geschart. Sie stand auf einem kniehohen Mäuerchen und erzählte etwas über den Bamberger Dom. Irgendeine Führung.
Michener fragte sich, was die Leute wohl denken würden, wenn sie dasselbe wüssten wie er. Dass Gott keineswegs ein menschliches Hirngespinst war. Sondern dass es genau so war, wie Theologen und Heilige es von Anfang an verkündet hatten: Gott war da und sah die Menschen, oft erfreut, oft enttäuscht und manchmal voll Ärger. Offensichtlich war der älteste Rat noch immer der beste: Dient ihm gut und treu.
Michener machte sich Sorgen, wie er seine eigenen Sünden büßen sollte. Vielleicht war seine jetzige Aufgabe ja Teil der Wiedergutmachung. Immerhin erleichterte es ihn sehr, dass seine Liebe zu Katerina zumindest aus himmlischer Sicht niemals eine Sünde gewesen war. Wie viele Priester waren nach vergleichbaren
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